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Florian Weber

Emotion und Ordnung. Sozial- und politiktheoretische Überlegungen im Anschluss an Max Weber

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2016 (Schriftenreihe der Sektion Politische Theorie und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft 31); 313 S.; 59,- €; ISBN 978-3-8487-2660-8
Diss. Jena; Begutachtung: K. Dicke, H. Rosa. – Stehen wir vor einem ‚emotional turn‘ in der politischen Theorie? Florian Weber geht von dem Forschungsdesiderat aus, dass es der gegenwärtigen politischen Theorie an einem differenzierenden Emotionsvokabular und emotionstheoretischen Perspektiven mangelt. Emotionen verweisen hier zumeist auf politische Pathologien und gehen mit der Befürchtung einher, dass Emotionalität eine Gefährdung der politischen Ordnung darstellt. Dieser Sicht tritt der Verfasser mit dem Anliegen entgegen, man müsse die Ergebnisse der emotionssoziologischen Forschung für die politische Theorie fruchtbar machen, wobei er sich insbesondere dem Charisma‑Begriff Max Webers zuwendet. Insbesondere aus Webers religionssoziologischen Studien lasse sich herauslesen, dass Schübe der Rationalisierung entwicklungsgeschichtlich von der Emotionalisierung jener Handlungsmuster abhängig sind, durch die Rationalität überhaupt erst zur dominanten Orientierung werden kann. Zweckrationale Orientierungen bedürfen (ursprünglich) einer wertbezogenen Verankerung, was wiederum das emotionale Ergriffensein von der Forderung eines unbedingten Wertes voraussetzt. Der Charisma‑Begriff sei daher emotionssoziologisch auszulegen und dürfe nicht auf asymmetrische Führer‑Masse‑Konstellationen beschränkt werden. Im ersten Teil geht es um die Frage, welche Bedeutung Emotionen bei der sozialen Ordnungsbildung zukommt (Emotionssoziologie). Teil II bezieht die Frage nach den emotionalen Bedingungen von Ordnungen auf das Weber‘sche Ordnungsdenken und fragt insbesondere nach der Beziehung zwischen Emotionen und Werten. Im dritten Teil geht es schließlich um die Frage, welche Möglichkeiten für die Handelnden bestehen, Wertbeziehungen und die auf sie gegründeten Ordnungen zu verändern (Webers „Chancen menschenmöglichen Handelns“). Zur historischen Veranschaulichung werden schließlich zwei Fallbeispiele erfolgreicher charismatischer Widerstandspraktiken vorgestellt: der Sturm auf die Bastille als Beispiel einer strukturverändernden „kollektiven Ekstase“ (253) sowie Gandhis Widerstandskampf als Beispiel für die herrschaftszersetzende Wirkung „kollektiver Askese“ (262). Die Arbeit ist an manchen Stellen sehr begriffs‑ und theorielastig, was der Präzisierung der Fragestellung eher schadet als nützt. Unbeschadet der Tatsache, dass sie lesenswert und anregend ist, bleibt dem Rezensenten der Zusammenhang von Emotionen, Emotionalisierung, Werten, Wertsetzungen und theoretischen Wertbeziehungen unklar. Dass Emotionen und (Glaubens‑)Überzeugungen nicht unbedingt dasselbe sind, hätte sich am Beispiel des von Tocqueville verwendeten Begriffs der ‚sentiments de sociabilité‘ vielleicht deutlicher darstellen lassen als an Webers Charisma‑Konzept.
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Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Georg Kamphausen, Rezension zu: Florian Weber: Emotion und Ordnung. Baden-Baden: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40011-emotion-und-ordnung_48161, veröffentlicht am 18.08.2016. Buch-Nr.: 48161 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken