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Stephan Braese / Dominik Groß (Hrsg.)

NS-Medizin und Öffentlichkeit. Formen der Aufarbeitung nach 1945

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2015; 343 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-593-50488-9
Die Verbrechen von Medizinern während der NS‑Zeit und die Unterstützung des NS‑Regimes durch erhebliche Teile der deutschen Ärzteschaft beschäftigen bis heute die wissenschaftliche Forschung und die öffentliche Diskussion. Dieser Sammelband widmet sich den „Formen der Aufarbeitung nach 1945“, wobei ein deutlicher Schwerpunkt auf literarische Verarbeitungen gelegt wird – gerade der Täter „in Weiß“, der tötende, der vernichtende Arzt ist vielfach literarisch bearbeitet worden. Die ersten Beiträge kreisen um die öffentliche und fachöffentliche Aufarbeitung der NS‑Medizinverbrechen. So etwa beschreibt Jürgen Peter die Genese, Rezeptions‑ und Wirkungsgeschichte der von Alexander Mitscherlich et al. vorgelegten frühen Dokumentation des Nürnberger Ärzteprozesses. Ralf Forsbach skizziert den Verlauf der öffentlichen Diskussion über die NS‑Medizin seit 1945 und Volker Roelcke widmet sich ausführlich der „zögerlichen Thematisierung“ der NS‑Medizin beziehungsweise „von medizinischem Fehlverhalten“ (133 ff.) während der NS‑Zeit durch die Bundesärztekammer seit Mitte der 1980er‑Jahre. Sein beschämendes Fazit: Es bedurfte fast immer der Kritik von außen, damit sich die Bundesärztekammer zu diesen Fragen äußerte beziehungsweise sich damit beschäftigte. Die weitaus meisten Beiträge des Bandes sind der Thematisierung der NS‑Medizin in der fiktionalen Literatur gewidmet, so etwa in den frühen Texten Martin Walsers, bei Rolf Hochhuth, Peter Weiss oder Alexander Kluge. Die unterschiedlichen Perspektiven und Wissensproduktionen – Historiografie und Literatur – werden in dem reflektierenden Nachwort von Liane Weissberg zusammengeführt. Dabei zeigt sich, dass mit den unterschiedlichen Verarbeitungen auch unterschiedliche Wirkungen erzielt werden können: Beispielweise kamen die literarischen Verarbeitungen der Gerichtsverfahren der 1960er‑Jahre, wie Peter Weiss‘ „Die Ermittlung“, der Historiografie zuvor und sie vermochten zugleich die Gesellschaft mit der zurückliegenden Historie anders zu konfrontieren als die zeitgenössische journalistische Publizistik: „Die Literatur konnte […] deutliche Fragen nach der Moral und der Ethik stellen, nicht nur hinsichtlich der Entscheidungen Einzelner, sondern auch der deutschen Bürger allgemein.“ (336)
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Rubrizierung: 2.352.3132.312 Empfohlene Zitierweise: Christoph Kopke, Rezension zu: Stephan Braese / Dominik Groß (Hrsg.): NS-Medizin und Öffentlichkeit. Frankfurt a. M./New York: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40012-ns-medizin-und-oeffentlichkeit_47903, veröffentlicht am 18.08.2016. Buch-Nr.: 47903 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken