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Georg Tidl

Waldheim. Wie es wirklich war! Die Geschichte einer Recherche

Wien: Löcker Verlag 2015; 228 S.; 24,80 €; ISBN 978-3-85409-781-5
Als die Kandidaten für die österreichische Bundespräsidentenwahl im Jahr 1985 bekannt gegeben wurden, oblag es dem ORF‑Journalisten und promovierten Historiker Georg Tidl, einen Kurzbeitrag mit biografischen Hintergründen über den früheren Außenminister und ehemaligen UN‑Generalsekretär Kurt Waldheim vorzubereiten. Dabei bemerkte er, dass die „Kriegsjahre von 1939 bis 1945 […] schwer nachvollziehbar [waren] – aus den vorhandenen Quellen“ (9). Seine folgenden intensiven Recherchen beschreibt Tidl in diesem Buch detailliert, spricht über die Quellen, berichtet über Sackgassen und benennt noch offene Fragen. Im April 1985 habe er aufgedeckt, dass Waldheim 1941 in einer Wehrmachtseinheit in den Prypjatsümpfen gedient und mindestens an einem Kampfeinsatz des Kommandos des SS‑Sturmbannführers Albert Faßbender beteiligt gewesen sei. Ein Beweis einer Beteiligung Waldheims an Kriegsverbrechen sei nicht zu finden gewesen. Als er diese Information veröffentlicht habe, seien Reaktionen ausgeblieben – anders als er es erwartet habe. Zwar habe er das als Niederlage empfunden, aber seine Recherchen dennoch fortgesetzt. Bald habe er unter Ausschluss der Öffentlichkeit eng mit Hans Rödhammer, einem hohen Funktionär des Frontkämpferbundes aus der Weltkriegsgeneration, zusammengearbeitet. In einem Zeitungsartikel in „Die Krone“ mit dem Titel „Krone deckt auf, wer ‚Waldheim‑Bombe‘ gezündet hat“ im März 1986 sei er dann selbst, so schreibt Tidl, als ‚politisch vorbelastet‘ verunglimpft worden, auch sei ihm fälschlich unterstellt worden, seine Recherchen an die amerikanische Presse verkauft zu haben. Nach dem Erscheinen des Artikels versetzte der ORF ihn von der Abteilung Innenpolitik ins Archiv – eine Degradierung. Bis dahin hatten Tidls Recherchen zu Waldheims NS‑Vergangenheit kein großes öffentliches Echo gefunden, was sich im März 1986 mit dem Erscheinen eines Artikels von Hubertus Czernin in der Zeitschrift „profil“ änderte. Tidl berichtet, er habe Czernin bei der Recherche mit Informationen unterstützt. Trotz der Vorwürfe gegen Waldheim, er habe sich möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt – was dieser verneinte und darauf verwies, dass er nur seine Pflicht als Soldat erfüllt habe –, wurde er im Juni 1986 zum Bundespräsidenten gewählt. Für Tidl steht fest: „Waldheims Wahl war kein Betriebsunfall – sie war eine systemimmanente Folge in einem Land, in dem es nach dem Zweiten Weltkrieg kaum eine Entnazifizierung gegeben hat.“ (117) Zugleich sei die Wahl aber auch eine Zäsur gewesen: Es habe „ein grundlegender politisch‑kultureller Wandel“ (131) eingesetzt. Erstmals sei der Mythos von Österreich als erstes Opfer der Nationalsozialisten öffentlich hinterfragt und ein Prozess der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte angestoßen worden.
{JBU}
Rubrizierung: 2.42.232.242.312 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Georg Tidl: Waldheim. Wien: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39859-waldheim_48265, veröffentlicht am 28.07.2016. Buch-Nr.: 48265 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken