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Kerim Kudo

Europäisierung und Islam in Bosnien-Herzegowina. Netzwerke und Identitätsdiskurse

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015; 332 S.; brosch., 59,- €; ISBN 978-3-8487-2867-1
Politikwiss. Diss. Duisburg‑Essen; Begutachtung: H.‑J. Axt, S. Pickel. – Kerim Kudo geht der sehr grundsätzlichen und gegenwartsdiagnostisch ebenso wichtigen Frage nach, woran sich eine europäische Identität und die Zugehörigkeit zu ihr festmachen lassen. Insofern der Islam, derzeit häufig als pauschales Feindbild und Bedrohung verzerrt, als das Nicht‑Europäische, als das Andere der europäischen Identität wahrgenommen wird, bietet sich mit den Beitrittsverhandlungen Bosnien‑Herzegowinas zur EU eine spannende Konstellation zur Analyse an. Das sich selbst größtenteils immer noch als christlich begreifende Europa verhandelt mit einem Beitrittskandidaten, dessen Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist: „Wie kompatibel sind nationale Identitätsdiskurse bosnisch‑muslimischer Netzwerkakteure mit Inhalten eines insbesondere von der EU ausgehenden Europäisierungsprozesses?“ (22) Im Zuge einer Kombination aus akteurszentrierter Netzwerk‑ und „kritischer Diskursanalyse“ (45), die den Zeitraum von 1990 bis 2014 abdeckt und religiöse, politische und mediale Fragmente des „Diskursstrangs ‚Identität’“ (49) berücksichtigt, kommt Kudo unter anderem zu dem Schluss, dass seit 1990 von einer „politischen Instrumentalisierung des Islams“ (295) in Bosnien‑Herzegowina gesprochen werden kann. Diese diskursive Praxis geht einher mit einer starken Verschränkung von religiösen und politischen Akteuren. Deren strategische Allianz ist weitreichend, insbesondere bis 2003: „Religiös‑politische Netzwerke bestimmen und dominieren den Großteil der Politikgestaltung und damit auch die Identitätsdiskurse der bosnischen Muslime.“ (297) Für den Zeitraum ab 2003, als nach dem Ende des Krieges schrittweise eine Pluralisierung des politischen Spektrums einsetzte, ist der Einfluss indes rückläufig. Je stärker es innerhalb der Nationalitäten‑ und Identitätsdiskurse in Bosnien‑Herzegowina gelinge, die Bedeutung der Religion zurückzuführen und stattdessen auf „moderne Nationalität“ (299) zu setzen, desto wahrscheinlicher sei auch die gelingende Integration des Landes in die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen der Europäischen Union. Dass andererseits der Islam in Europa pauschal auch weiterhin als die Verkörperung des Anderen schlechthin gilt, muss beunruhigen.
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Rubrizierung: 2.612.232.222.2 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Kerim Kudo: Europäisierung und Islam in Bosnien-Herzegowina. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39767-europaeisierung-und-islam-in-bosnien-herzegowina_48338, veröffentlicht am 16.06.2016. Buch-Nr.: 48338 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken