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Tõnu Tannberg (Hrsg.)

Behind the Iron Curtain. Soviet Estonia in the Era of the Cold War

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2015 (Tartu Historical Studies 5); 431 S.; 76,95 €; ISBN 978-3-631-66849-8
Wissenschaftliche Studien über den Kalten Krieg tendieren dazu, sich auf das Handeln der beiden konkurrierenden Supermächte UdSSR und USA zu konzentrieren. Differenzierter versucht dieser Sammelband den Konflikt als einen multidimensionalen zu begreifen – „taking place on various levels with a multitude of players fulfilling different roles“ (120). Insbesondere die Etablierung sowjetischer Hegemonie in den neuen Republiken nach dem Zweiten Weltkrieg „was a complex, multifaceted, and at times even contradictory process“ (8), wie der Herausgeber einleitend schreibt. Diesem bisher wenig berücksichtigten Facettenreichtum spüren die Autor_innen für das 1944 annektierte Estland in insgesamt 14 Artikeln nach. Dabei wird deutlich, wie sich die verschiedenen Bemühungen Moskaus zum Aufbau einer totalitären sowjetischen Gesellschaft und einer zentral gesteuerten Wirtschaft im Baltikum auf sehr spezifische Weise manifestierten und sich über die Zeit mitunter fundamental änderten. Dienten die Schauprozesse gegen im Exil lebende Esten noch dem Ziel, die um Einflussnahme bemühten Exilanten und deren Gastländer zu diskreditieren und Letzteren einen zu nachsichtigen Umgang mit der nazistischen Vergangenheit zu unterstellen, wie Meelis Maripuu argumentiert, wird das Bild des faschistischen Feindes in den 1950er‑Jahren durch das der USA ersetzt. Karin Veski und Anu Rausepp zeigen anhand estnischsprachiger Schulbücher, wie die Konstruktion des äußeren Feindes und des sowjetischen Helden ein wichtiger Mechanismus des Regimes zur sozialen Kontrolle darstellte. Weniger erfolgreich waren die Versuche, das estnische Mediensystem in einen „brainwashing mechanism“ (274) zu verwandeln, der das ideologische Fundament einer „united and loyal Soviet people“ (275) hätte herstellen können. Tiiu Kreegipuu konstatiert, dass die nationalen Medien zwar massiv durch Zensur und Repression beeinflusst waren, der Kommunistischen Partei gleichzeitig aber auch Widerstand leisteten und Ende der 1980er‑Jahre massiv zu ihrer Entmachtung beitragen konnten. Die vielfältigen Beiträge werfen einen genauen Blick auf die politischen, ökonomischen und kulturellen Arrangements Estlands, in denen der damalige globale Systemkonflikt repräsentiert und spezifisch bearbeitet wurde.
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Rubrizierung: 2.622.612.252.212.222.23 Empfohlene Zitierweise: Sven-Jacob Sieg, Rezension zu: Tõnu Tannberg (Hrsg.): Behind the Iron Curtain. Frankfurt a. M. u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39710-behind-the-iron-curtain_48106, veröffentlicht am 26.05.2016. Buch-Nr.: 48106 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken