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Stefan Peters / Hans-Jürgen Burchardt / Rainer Öhlschläger (Hrsg.)

Geschichte wird gemacht. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Studien zu Lateinamerika 30); 200 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-8487-2539-7
Wie gehen die lateinamerikanischen Länder mit ihrer Vergangenheit um, insbesondere mit den Diktaturerfahrungen der 1970er‑ und 1980er‑Jahre? Welche Erinnerungsnarrative und Interpretationen der Vergangenheit bestehen, welche Konflikte und Konjunkturen treten auf? Antworten auf diese Fragen werden in den Beiträgen des Sammelbandes gegeben. Neben Texten zu den aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Vergangenheitspolitik in Lateinamerika finden sich zahlreiche Beiträge mit fallspezifischen Analysen. Stephan Ruderer befasst sich beispielsweise mit der Aufarbeitung der Vergangenheit in Chile und stellt die Frage, ob das Land als Modellfall oder Negativbeispiel gelten kann. Nach einer Analyse verschiedener Phasen der Vergangenheitspolitik zwischen 1990 und 2014, die sich durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen unterscheiden, lautet seine Antwort: weder das eine noch das andere. Vielmehr zeigt sich, „dass wir es in Chile tatsächlich mit einer ambivalenten, ‚hybriden‘ Vergangenheitspolitik zu tun haben, bei der es gerade auf dem Feld der Erinnerung noch einer Vielzahl an gesellschaftlichen Diskussionen bedarf, um zu einem zumindest soweit geteilten Erinnerungskonsens zu kommen, dass eine solide verankerte Demokratie und ein bewusstes ‚Nie wieder‘ von allen relevanten öffentlichen Akteuren akzeptiert werden“ (69). Sylvia Karl analysiert mit Mexiko ein Land, in dem kaum politisches Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit zu erkennen ist. Sie zeichnet zudem exemplarisch anhand des Falls des Verschwindenlassens von 43 Studierenden von Ayotzinapa im September 2014 die Fortsetzung staatsterroristischer Praxis nach. Es zeigen sich Kontinuitäten im Einsatz illegaler Methoden bei der Bekämpfung politischer Oppositioneller, wobei sich staatliche und para‑staatliche Akteure mit der organisierten Kriminalität verbinden. Deutlich werden aber auch Gegenbewegungen, Erinnerungskulturen und Kämpfe um Rehumanisierung, verbunden mit einem Engagement gegen ein Ausbleiben der Aufklärung der Verbrechen sowie gegen eine Kultur der Straflosigkeit. Aldo Marchesi betrachtet in seinem Aufsatz über den Rückblick auf die politische Gewalt der radikalen Linken in der Region Cono Sur eine ganz andere Seite des Umgangs mit der Vergangenheit. Als Ende der 1980er‑, Anfang der 1990er‑Jahre die Zeitenwende eintrat, begannen die Überlebenden der radikalen Linken, ihr Verhältnis zu ihrer Vergangenheit neu zu klären. Zwei unterschiedliche Strategien werden deutlich: Einige nahmen die neuen Paradigmen der Menschen‑ und Frauenrechte an und verurteilten meist das gewaltsame Vorgehen in der Vergangenheit. Andere wiederum hielten an einigen Aspekten der früheren Politik fest.
{JBU}
Rubrizierung: 2.652.232.25 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Stefan Peters / Hans-Jürgen Burchardt / Rainer Öhlschläger (Hrsg.): Geschichte wird gemacht. Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39635-geschichte-wird-gemacht_48103, veröffentlicht am 28.04.2016. Buch-Nr.: 48103 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken