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Birgit Neumann-Becker / Jörg Frommer / Freihart Regner / Stefanie Knorr

SED-Verfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit. Die Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden sowie psychosoziale, therapeutische und seelsorgerische Perspektiven

Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2015 (Studienreihe der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt 5); 216 S.; 19,95 €; ISBN 978-3-95462-551-2
Auch Jahrzehnte nach dem Ende der DDR leiden heute noch viele der dort politisch Verfolgten an gesundheitlichen Folgeschäden. Hinsichtlich der Anerkennung dieser Folgeschäden bestehe ein „erheblicher Gesprächs‑ und Handlungsbedarf“ (10), wie dieser Sammelband verdeutlichen will. Er geht zurück auf eine Tagung, die im Februar 2014 mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung, Verfolgtenverbänden, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, Aufarbeitungsinitiativen sowie Experten in Therapie und Beratung in Magdeburg stattfand. Dementsprechend weisen die Beiträge vielfältige Perspektiven auf. Aus einer Betroffenenperspektive berichtet Johannes Rink, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen‑Anhalt der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e. V. (VOS). Er schildert seine körperlichen und seelischen Beschwerden, die ihn seit Ende seiner Inhaftierung von 1961 bis 1965 begleiten. Für sich hält er aber fest: „Das Rehabilitierungsgesetz ermöglicht es auch mir, meine Ehre und Würde wieder herzustellen. Jetzt habe ich es schwarz auf weiß, dass ich zu Unrecht verurteilt wurde.“ (27) Carsten Spitzer und Harald J. Freyberger, die aus einer wissenschaftlichen Perspektive schreiben, zeigen aber: „Nur ein Teil der Opfer politischer Verfolgung in der SBZ und der DDR hat die Option potenzieller Rehabilitierung und Entschädigungsleistungen für die erlittenen beruflichen und gesundheitlichen Schäden erhalten.“ (105 f.) Zum einen habe der Gesetzgeber einzelne Verfolgungsschicksale übersehen, zum anderen seien die straf‑, berufs‑ und verwaltungsrechtlichen Rehabilitationsmöglichkeiten bisher nicht von allen Betroffenen in Anspruch genommen worden. Die Autoren nehmen vor allem diese Personengruppe der sogenannten stummen Opfer in den Blick. Sie argumentieren, „dass das Fehlen gesellschaftlicher Akzeptanz und einer differenzierten Erinnerungskultur, die den Opfern öffentlich rezipierte Narrative ihrer Verfolgung ermöglicht, einen entscheidenden Einfluss“ (109) darauf hat, ob eine Anerkennung überhaupt angestrebt wird. Aus der Perspektive der psychosozialen Beratung der SED‑Verfolgten berichtet Freihart Regner und macht schließlich nochmal deutlich: „Die Anliegen der Betroffenen werden von Politik, Justiz und Administration nicht selten ignoriert, vernachlässigt, beschwichtigt, aufgeschoben, abgelehnt. […] Und für die Verfolgten kann dies eine weitere traumatische Sequenz bedeuten, die somit ihr Recht auf Gesundheit verletzt.“ (199)
{JBU}
Rubrizierung: 2.3142.35 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Birgit Neumann-Becker / Jörg Frommer / Freihart Regner / Stefanie Knorr: SED-Verfolgte und das Menschenrecht auf Gesundheit. Halle (Saale): 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39605-sed-verfolgte-und-das-menschenrecht-auf-gesundheit_48137, veröffentlicht am 14.04.2016. Buch-Nr.: 48137 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken