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Henning Borggräfe / Hanne Leßau / Harald Schmid (Hrsg.)

Fundstücke. Die Wahrnehmung der NS-Verbrechen und ihrer Opfer im Wandel

Göttingen: Wallstein Verlag 2015 (Fundstücke 3); 64 S.; brosch., 9,90 €; ISBN 978-3-8353-1744-4
In diesem schmalen Band wirft zunächst Harald Schmid einen konzentrierten Blick auf die „Opfer nationalsozialistischer Herrschaft im Bild der deutschen Öffentlichkeit“ (10). Die überzeugende leitende These lautet, dass einerseits man in Deutschland nach 1945 „immer um die ganze Bandbreite des Spektrums von Verfolgten und Opfern“ gewusst habe oder hätte wissen können. „Andererseits war es immer von den zeitbedingten Fokussierungen abhängig, welche Gruppen und Verbrechenskomplexe im Mittelpunkt standen.“ (11) Und so konnte sich die Gesellschaft erst einmal selbst als Opfer wahrnehmen, stellte sich im Laufe der Jahrzehnte dann aber doch dieser Lüge und ermöglichte nach und nach den verschiedenen Opfergruppen, Gehör, Anerkennung und auch Entschädigung zu erlangen. Auf diese Problematisierung folgt ein Beitrag von Henning Borggräfe, seit 2014 stellvertretender Leiter der Abteilung Forschung und Bildung des International Tracing Service (IST), und der Zeithistorikerin Hanne Leßau. Sie werfen einen äußerst kritischen Blick zurück auf die Arbeit des IST. Hervorgegangen ist diese Institution aus der Initiative der Alliierten bereits während des Zweiten Weltkrieges, ein „Zentrales Suchbüro“ einzurichten. Lange Jahre war dieser Suchdienst auch dafür zuständig, Verfolgten des NS‑Regimes etwa die Haftzeiten in den Konzentrationslagern zu bescheinigen. Borggräfe und Leßau schildern am Beispiel der von den Nationalsozialisten als „Asoziale“ kategorisierten Menschen, wie stur nach Vorschrift und über die reine Abschrift der vorhandenen NS‑Dokumente eine Anerkennung dieser Opfer lange konsequent verhindert wurde. Selbst die gesellschaftliche Diskussion in den 1980er‑Jahren „über ‚Asoziale‘ und andere ‚vergessene Opfer‘ lief am IST offensichtlich weitgehend vorbei“ (42). Borggräfe betont im Vorwort, dass die kritische Beschäftigung mit der Geschichte des Umgangs mit den NS‑Dokumenten und der Wahrnehmung der Opfer ein wichtiger Teil des Wandels der Institution hin zu einem Dokumentationszentrum ist. Die Archive sind seit 2007 öffentlich zugänglich, durch den Abdruck einiger ausgewählter Dokumente wird in diesem Band ein erster Eindruck vermittelt.
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Rubrizierung: 2.352.232.313 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Henning Borggräfe / Hanne Leßau / Harald Schmid (Hrsg.): Fundstücke. Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39547-fundstuecke_48087, veröffentlicht am 17.03.2016. Buch-Nr.: 48087 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken