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Rainer Eisfeld (Hrsg.)

Mitgemacht. Theodor Eschenburgs Beteiligung an "Arisierungen" im Nationalsozialismus

Wiesbaden: Springer VS 2016; 449 S.; 49,99 €; ISBN 978-3-658-07215-5
Ulrich von Alemann hat auf dem DVPW‑Kongress 2015 einen Schlusspunkt unter eine quälende Debatte gesetzt – sein Vorschlag, einen Preis für das Lebenswerk eines Politikwissenschaftlers oder einer Politikwissenschaftlerin nach Theodor Eschenburg zu benennen, sei ein Fehler gewesen, begangen in Unkenntnis der genauen Biografie. Von Alemann hob dabei auf die NS‑Zeit ab, die Eschenburg nach 1945 – wie so viele – beschwieg, abtat, aber auch rechtfertigte in der Verteidigung anderer (etwa Globke). „[…] ich bin tief enttäuscht, dass er nicht den Mut zur Aufrichtigkeit hatte“, sagte von Alemann auf dem Kongress. Die Souveränität, eigene Annahmen angesichts neu entdeckter Fakten zu prüfen und zu revidieren, hätte man sich auch von den nicht wenigen Verteidigern Eschenburgs gewünscht. So aber konnte man, enttäuscht, eine Debatte verfolgen, in der die Verteidiger aufgrund persönlich gefühlter Loyalitäten die Maßstäbe und Erkenntnisse beiseite stellten, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte von Geschichts‑ und Politikwissenschaft zur Aufklärung über das NS‑Regime erarbeitet worden sind. Die Versuche, dabei Eschenburgs freiwilliges Zutun zu mindestens drei sogenannten Arisierungen angesichts seines Verdienstes für die Politikwissenschaft nach 1945 als irrelevant einzustufen, glichen einem Rückfall in längst abgelegt geglaubte Abwehrstrategien. Rainer Eisfeld legt einen ausgezeichneten Band vor, in dem er die Debatte rekapituliert und wichtige Beiträge dazu noch einmal dokumentiert. In der Zusammenschau ist so auch eine Reflexion über das Fach nachzulesen und das Eingeständnis, dass die Politikwissenschaft als Teil der deutschen Gesellschaft eine Vergangenheit hat. Als einem Selbstverständnis als Demokratiewissenschaft unangemessen erweist sich aufgrund der neueren Erkenntnisse die lange hagiografische Verehrung Eschenburgs insgesamt: Der Weimarer Republik stand er erst ablehnend gegenüber, als Student agitierte er von rechts und verband sich entsprechend burschenschaftlich, er war mit Carl Schmitt gut bekannt und vertrat noch in der Bundesrepublik ein staatszentristisches Verständnis, in dem der engagierte Bürger als Störfaktor erschien, nachzulesen auch in zahlreichen Beiträgen für „Die Zeit“. Von zentraler Bedeutung aber ist seine Rolle als jemand, der durch sein Funktionieren als Vertreter eines Berufsstandes (der Bekleidungsindustrie) das NS‑Regime zu stabilisieren half – ohne einen Hinweis auf eine eigene antisemitische Haltung. „Er hat sich für das Funktionieren entschieden und am Unrecht teilgenommen, er hat sich für das Übel entschieden, denn auch das angeblich geringere Übel ist ja noch ein Übel“, schreibt Helmut König. Er kann dennoch der gesamten Debatte einen Sinn abgewinnen: „[…] es gehört zu den genuinen Aufgaben jeder Generation, sich über ihr Erbe zu verständigen, das ihre Vorfahren hinterlassen haben“ (447 f.). Genau dies habe die DVPW mit der Streichung des Eschenburg‑Preises getan.
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Rubrizierung: 1.12.3122.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Rainer Eisfeld (Hrsg.): Mitgemacht. Wiesbaden: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39510-mitgemacht_47765, veröffentlicht am 10.03.2016. Buch-Nr.: 47765 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken