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Franco "Bifo" Berardi

Der Aufstand. Über Poesie und Finanzwesen. Aus dem Englischen von Kevin Vennemann

Berlin: Matthes & Seitz 2015; 188 S.; 22,90 €; ISBN 978-3-95757-092-5
Der italienische Philosoph und Medientheoretiker Franco Berardi legt eine grundlegende Kritik der Gegenwart vor, wobei er wesentliche Kriterien für ihre Charakterisierung bei anderen Denkern entlehnt. Dazu zählt der general intellect nach dem Marx’schen „Maschinenfragment“, Fragen von Macht und Herrschaft, wie Foucault sie diskutiert hat, sowie die Bedeutung von Sprache nach Baudrillard. Die so ausgemessene Gegenwart beschreibt Berardi als maßgeblich bestimmt durch die „Hyperwelt“ – „ein Paralleluniversum, das sich rasenden Tempos im Raum des virtuellen und allgegenwärtigen Nirgendwo ausbereitet“. Unverkennbares zentrales Merkmal ist die „Trennung des intellektuellen Handels vom körperlichen Raum“ (18) und eben gerade diese hat nach Berardi dem neoliberalen Finanzkapitalismus erst zur Durchsetzung verholfen. Durch diese Verknüpfung des Internets mit dem Finanzkapitalismus durchläuft die Arbeit „einen Parallelprozess der Pulverisierung und Deterritorialisierung“ (90), der gesellschaftliche Körper und damit der Marx’sche general intellect ist entmachtet, das Individuum auf einen prekären Zustand reduziert. Zugespitzt beschreibt Berardi den Neoliberalismus als „die perfekteste Form des Faschismus […], wie Deleuze und Guattari ihn definieren“ – „in jeder einzelnen Nische [steckt] eine Kriegsmaschine“ (110 f.), verschleiert durch den Wettbewerb. Die Fähigkeit des globalen Finanzkapitalismus, ohne körperliches Zutun des Menschen Wert zu generieren, stellt nach Berardi ganz konkret die Lebensbedingungen in Europa infrage: Waren historisch die europäischen Wohlfahrtssysteme und die Position des europäischen Arbeiters der Sehnsuchtsort der Arbeiter aller Länder, ist Europa nun akut gefährdet – die weltweiten Arbeitsbedingungen und sozialen Standards werden sich, da ist sich Berardi sicher, nicht am europäischen, sondern am chinesischen Niveau orientieren. Seit 2011 zeichne sich deshalb der Aufstand ab (Occupy Wall Street, Arabischer Frühling etc.). Um aber die Gegenwart nachhaltig zu ändern, setzt der Philosoph auf die Zurückeroberung der Sprache vom Neoliberalismus, wobei er allerdings ein düsteres Bild zeichnet: Seine Generation, die der 68er, sei die letzte moderne, die folgende sei die erste, die von einer Maschine mehr Worte gelernt habe als von der eigenen Mutter, so seine gefühlte Wahrheit. Berardi, der doch eigentlich so genau die Gegenwart analytisch durchmisst, erliegt hier unerfreulicherweise einer wenig hilfreichen Verklärung der Vergangenheit. Einen Weg aber zurück, in die Zeit vor der umfassenden Digitalisierung, wird es nicht geben. Sein Blick nach vorn bleibt vage.
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Rubrizierung: 5.422.222.61 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Franco "Bifo" Berardi: Der Aufstand. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39335-der-aufstand_47140, veröffentlicht am 04.02.2016. Buch-Nr.: 47140 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken