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Christoph Thonfeld

Rehabilitierte Erinnerungen? Individuelle Erfahrungsverarbeitungen und kollektive Repräsentationen von NS-Zwangsarbeit im internationalen Vergleich

Essen: Klartext 2014; 362 S.; 34,95 €; ISBN 978-3-8375-1316-5
Geschichtswiss. Habilitationsschrift Trier. – Wie verarbeiteten NS‑Zwangsarbeiter_innen nach 1945 ihre Erlebnisse und Erfahrungen? Wie sieht die kollektive Repräsentation dieser Erinnerungen aus? Christoph Thonfeld widmet sich diesen Fragen mithilfe eines internationalen Vergleiches. Als Datenbasis dienen ihm Interviews mit Betroffenen, die im Rahmen des International Forces Labourers Documentation Project entstanden sind. In einer mehrjährigen Forschungsarbeit, die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft finanziert wurde, interviewten 32 Teams in 25 Ländern rund 600 Menschen. Der Autor selbst ergänzte diesen Fundus als geschäftsführender Leiter des Projekts um eigene Interviews. Er konzentriert seine Untersuchung auf 86 ausgewählte narrative lebensgeschichtliche Interviews von Menschen, die für Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten. Auf diese Weise arbeitet er „die jeweiligen Besonderheiten individualisierter und sozialer Erinnerungen beziehungsweise subjektivierter und objektivierter Perspektiven auf Vergangenheit“ (9) heraus. Gerade die Perspektive von Einzelpersonen biete die Möglichkeit, ein komplexeres Bild historischer Geschehnisse zu erarbeiten. Dieses müsse viele Formen des Erinnerns und Vergessens umfassen, von persönlicher Vergangenheitsbewältigung bis hin zu „durchchoreographierten staatlichen Gedenkritualen“ (10). Ein zentrales Motiv der individuellen autobiografischen Berichte der Betroffenen sei die erzwungene Trennung von der Familie. Um zu überleben, versuchten viele Zwangsarbeiter_innen sich im Alltag durch routinierte Anpassung unsichtbar zu machen, um so der Aufmerksamkeit ihrer Peiniger_innen und den oft willkürlich vollzogenen Strafmaßnahmen zu entgehen. Die Situation von Arbeitshäftlingen sei dabei im Vergleich zu zivilen Zwangsarbeiter_innen unter diesem Aspekt noch schwieriger gewesen. Weitertransporte in andere Lager sowie eine undurchschaubare Planung der Arbeitseinsätze sorgten für eine „von den Bewachern durchaus beabsichtigte [...] Desorientierung“ (241). Thonfeld resümiert, dass bei vielen der ausgewählten Befragten der Einfluss der Zwangsarbeitserfahrungen auf ihr gegenwärtiges alltäglich gelebtes Selbstbild verblasst sei. Ausnahmen zeigten sich in der Ukraine und Frankreich, wo die Betroffenen unter sozialer Stigmatisierung leiden mussten und müssen. Der Autor betont die über „bequeme Eindeutigkeiten“ (333) hinausgehende Vielfältigkeit der Perspektiven und Deutungen, die in den Interviews deutlich werden.
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Rubrizierung: 2.232.612.632.312 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Christoph Thonfeld: Rehabilitierte Erinnerungen? Essen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39046-rehabilitierte-erinnerungen_47162, veröffentlicht am 05.11.2015. Buch-Nr.: 47162 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken