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Henning Ottmann / Pavo Barišić (Hrsg.)

Deliberative Demokratie

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Staatsverständnisse 75); 237 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8487-1690-6
Öffentliche Beratungen und Debatten als den Kern der Demokratie anzusehen, ist das Kennzeichen der deliberativen Demokratietheorie, die seit den 1980er‑Jahren die wohl am häufigsten diskutierte Demokratietheorie darstellt. Das Ziel der Herausgeber dieses Sammelbandes besteht in einer Bestandsaufnahme der Theorie. In einem ersten Abschnitt erinnert Pavo Barišić an die Wurzeln der deliberativen Demokratie im Denken von Aristoteles. Im zweiten Abschnitt wird diese Idee „im Spiegel anderer Denker“ (53) betrachtet. Marita Brčić Kuljiš analysiert Rawls Deliberationsverständnis und gelangt zu der Interpretation, dass er die Deliberation vor allem bei den Politikern verortet, womit jedoch gerade die Intention der deliberativen Demokratie, die Bürger in den politischen Prozess zu integrieren, vernachlässigt werde. Der dritte Abschnitt behandelt dann eher kritisch den wohl zentralsten Denker der deliberativen Demokratie: Jürgen Habermas. Hans‑Otto‑Mühleisen sieht in dem offenen Diskurs von Habermas nur ein „Medium“ (133) zur Umsetzung und Differenzierung individueller Werte und gesellschaftlicher Normen. Karl‑Heinz Nusser vertritt unter anderem die These, dass Habermas‘ Interpretation von Menschenrechten und Menschenwürde dem „erreichten Stand des deutschen Grundgesetzes“ (151) wie auch der Praxis des Bundesverfassungsgerichts widerspricht. Nach einem vierten Abschnitt zur deliberativen Demokratie und der EU ist der fünfte Abschnitt explizit den Chancen und Grenzen der Theorie gewidmet. Henning Ottmann skizziert ein skeptisches Bild, das auf Probleme der Deliberation hinweist wie beispielsweise die Gefahr, Deliberationen in der Politik nur als „Alibi‑Veranstaltungen“ (227) zu benutzen, die losgelöst von den politischen Entscheidungen und damit einflusslos seien. Zudem wirft er zu Recht die Frage auf, wie sich in Beratungen am Ende das bessere Argument durchsetzt und wer darüber entscheidet, was das bessere Argument darstellt. Wenn Ottmann hingegen an der deliberativen Demokratie kritisiert, sie blende „Formen antagonistischer Politik oder Formen der Unmutsäußerungen, des Protests und der Demonstrationen“ (233) zu sehr aus, dann weist das auf ein bestehendes Problem hin, vernachlässigt jedoch aktuelle Entwicklungen in der Forschungsliteratur. Letztlich plädieren die Autor_innen des Bandes dafür, die Theorie als Ergänzung und Belebung, nicht jedoch als Ersatz der repräsentativen Demokratie aufzufassen, womit die mit der Theorie eingehergehenden sehr optimistischen Erwartungen der 1990er‑Jahre gedämpft werden.
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Rubrizierung: 5.15.35.415.462.213.4 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Henning Ottmann / Pavo Barišić (Hrsg.): Deliberative Demokratie Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39033-deliberative-demokratie_47637, veröffentlicht am 29.10.2015. Buch-Nr.: 47637 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken