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Dirk Martin / Susanne Martin / Jens Wissel (Hrsg.)

Perspektiven und Konstellationen kritischer Theorie

Münster: Westfälisches Dampfboot 2015; 316 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-89691-977-9
Der Begleitband zu der Gießener Konferenz „Leidenschaft der Kritik“ aus dem Jahre 2013 schreibt die „kritische Theorie“ bewusst klein – nicht die Situation einer bestimmten Schule der Gesellschaftswissenschaft, sondern die allgemeine Möglichkeit von Kritik und Veränderung im Kapitalismus stehen auf dem Spiel. Im eröffnenden Beitrag vergleicht Rahel Jaeggi mehrere Kritikformen zwischen Hegel, Marx und Walzer und stellt den besonderen, dialektischen Charakter der Marx’schen Kritik heraus. Marx habe nämlich nicht die Gesellschaft von außen mit einer Utopie konfrontiert, sondern die gleichzeitige Geltung und Nicht‑Geltung bürgerlicher Normen zum Thema gemacht. Nach Jaeggis Darstellung stellt diese Strategie des Vorhaltens eines kritischen Spiegels die notwendige und hinreichende Bedingung für die Transformation der Gesellschaft dar: „Die Widersprüchlichkeit der bestehenden Situation führt zur Notwendigkeit einer Transformation von […] Normen und Praktiken“ (23). So wird erstens der Verdacht einer „Großkritik“ (27) vermieden und zweitens der Boden bereitet, um im Falle einer Artikulation der Widersprüche zum Zeitpunkt der Krise eine Transformation herbeizuführen. Sonja Buckel schließt daran ihr Konzept des „Dirty Capitalism“ (29) an und zeigt damit zweierlei. Einerseits wird in diesen Krisensituationen das ganze Ausmaß des „Eisbergs“ (31) der Verhältnisse sichtbar, das meistens unter der Oberfläche von Lohnarbeit und Kapital verborgen bleibt, die somit nie schneeweiß und in reiner Form vorliegen, sondern stets „dirty“, das heißt auf einen komplexen, unsichtbaren Unterbau angewiesen sind. Andererseits hat dieser Umstand seinen tieferen Grund gerade darin, dass es der Kapitalismus selbst ist, der den Gesamtzusammenhang einer Gesellschaft als Gesellschaft überhaupt erst inauguriert. Das Ganze, das bei Hegel noch das Wahre ist, ist also gerade die Herrschaftsstrategie des Kapitalismus – gerade umgekehrt muss es deshalb lokal darum gehen, „aus dem kleinsten Moment den Funken des Ganzen zu schlagen“ (42). Der wichtigste Beitrag ist sicherlich das Gespräch mit Alex Demirović – dem der Band zum 60. Geburtstag gewidmet ist –, in dem dieser seinen praxeologischen Blick auf Politik zum Ausdruck bringt und überzeugende Schritte unternimmt, marxistische Dialektik und Hegemonietheorie in Deckung zu bringen.
{FG}
Rubrizierung: 5.45.415.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Dirk Martin / Susanne Martin / Jens Wissel (Hrsg.): Perspektiven und Konstellationen kritischer Theorie Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39014-perspektiven-und-konstellationen-kritischer-theorie_46664, veröffentlicht am 29.10.2015. Buch-Nr.: 46664 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken