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Andreas Müller / Avenir Suisse

Bürgerstaat und Staatsbürger. Milizpolitik zwischen Mythos und Moderne

Zürich: Neue Zürcher Zeitung 2015; 214 S.; brosch., 38,- €; ISBN 978-3-03810-039-3
Mit dem Begriff Milizsystem wird der Teil des politischen Systems der Schweiz bezeichnet, in dem Bürgerinnen und Bürger öffentliche Aufgaben nebenamtlich übernehmen, wie etwa im sogenannten Milizparlament, in dem sich die meisten Abgeordneten nur nebenberuflich engagieren. Das System solle für die „Verwirklichung eines Ideals aktiver Bürgerbeteiligung“ (14) sorgen, schreibt Andreas Müller einleitend. Er bedauert, dass in der internationalen Politikwissenschaft das Milizsystem entweder gar nicht oder nur beschränkt auf das militärische Milizsystem thematisiert wird. In den Beiträgen dieses Sammelbandes gehe es nur um das politische Milizsystem, das ein wichtiger Teil des republikanischen Erbes der Schweiz sei. Dieses sieht er aber aufgrund der zurückgehenden „Teilnahmebereitschaft und ‑fähigkeit der Bürger“ (18) in Gefahr. Herausgegeben wird der ästhetisch hochwertig gestaltete Sammelband von Avenir Suisse, laut Eigenbeschreibung handelt es sich um einen unabhängigen Think‑Tank, der Ideen für die Zukunft der Schweiz erarbeitet. Im zurückliegenden Jahr beschäftigte sich die Organisation in mehreren interdisziplinären Workshops mit der Zukunftsfähigkeit des Milizsystems, auf denen das Buch basiert. Martin Heller bezweifelt in seinem Beitrag, dass das Milizsystem wirklich bürgernahe Politik garantiere oder das Staatsbewusstsein stärke. Er kritisiert, dass es diesem an Effizienz und Zielstrebigkeit mangele – ihm müsse „jegliche Anmutung von Heiligkeit ausgetrieben werden“ (58). Unbezahltes Engagement sei nicht per se professioneller Tätigkeit moralisch überlegen. Hans Geser verteidigt in seinem Text das Milizsystem gegen Forderungen nach „Verberuflichung“ (64). Die Bürger wirkten an Exekutivaufgaben mit und seien „in mancher Hinsicht besser als die Berufsverwaltung in der Lage, der erhöhten Dynamik und Komplexität der modernen Gesellschaft Rechnung zu tragen“ (77). Die Funktionen der Milizpolitiker könnten flexibler neu besetzt werden und der Staat könne vom vielschichtigen gesellschaftlichen Wissen der Bürger auf direkte Art profitieren. Die Verbreitung digitaler Technologien werde sich positiv auf das Milizsystem auswirken, lautet die hoffnungsvolle Prognose.
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Rubrizierung: 2.52.212.23 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Andreas Müller / Avenir Suisse: Bürgerstaat und Staatsbürger. Zürich: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38851-buergerstaat-und-staatsbuerger_47275, veröffentlicht am 10.09.2015. Buch-Nr.: 47275 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken