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Alex Demirović / Sebastian Klauke / Etienne Schneider (Hrsg.)

Was ist der "Stand des Marxismus"? Soziale und epistemologische Bedingungen der kritischen Theorie heute. Hrsg. im Auftrag der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung

Münster: Westfälisches Dampfboot 2015; 185 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-89691-717-1
Im achten Band der eigenen Reihe der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG) sind Reflexionen darüber versammelt, was der Begriff Marxismus und die Analyse seines historischen Standes heute noch bedeuten kann. Klaus Dörre ist überzeugt, dass der Marxismus „als interne Theorie sozialistischer Arbeiterbewegungen […] seine Daseinsberechtigung verloren [hat]“ (56), sich aber als radikales soziologisches Programm bewährt. Frank Deppe meint, dass „der Übergang vom Fordismus zum Postfordismus“ den akademischen Marxismus in eine „tiefe Krise“ (70 f.) gestürzt hat. Obwohl sich einige neue kritische Forschungsstandorte herausgebildet hätten, bleibe offen, welche Rolle ein akademisch erneuerter Marxismus in aktuellen Auseinandersetzungen spielen könne, weshalb zunächst die Sicherung der „Stützpunkte“ (75) generell Priorität genieße. In diesen Stützpunkten liege ein nicht zu unterschätzendes kritisches Potenzial, meint Alex Demirovi?, weil „die erweiterte Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft […] sich nur vermittels […] der institutionalisierten Selbstbeobachtung der bürgerlichen Gesellschaft vollziehen [kann]“ (24). Klassentheorie oder eine „rationalistische und aufklärerisch geprägte“ (27) Ideologiekritik, die sich desillusionierende oder gar revolutionäre Effekte ausmale, sei damit für die heutige Situation eher fehl am Platz. Letztlich teilen die meisten Beiträge die anachronistische Warnung, der Marxismus dürfe sich vor allen Dingen nicht selbst „herrschaftlich organisiert“ (23) als Diskurs abschließen, müsse immer offen und empfänglich, transparent, „plural [und] demokratisch“ (45), „selbstreflexiv“ (42), „vernetzt“ (76), niemals „ökonomisch verkürzt“ (82) und genau genommen noch nicht mal marxistisch sein, denn dieser gehört schließlich zu den Ismen, „die man bei Marx vergeblich sucht“ (124). Anachronistisch deswegen, weil nicht klar wird, an welcher Stelle denn heute noch einerseits eine derartige Machtwirkung vom Marxismus ausgehen soll, wenn er doch andererseits als akademischer Faktor derart marginalisiert dasteht, wie es die Autor_innen behaupten. Die offenbarste Struktureigenschaft des modernen Marxismus, dass sich nämlich sein ursprünglicher Impetus, ganz bewusst eine Verengung der Theoriearbeit auf wenige Teilbereiche zu fordern, um dort durch Massierung einen qualitativen Sprung zu erreichen, in das Gegenteil umgekehrt hat – und diese Umkehrung keineswegs freiwillig oder auf Grundlage bahnbrechender Forschungsergebnisse erfolgte, sondern auch eine unsaubere Kapitulation vor der politischen Offensive des Neoliberalismus darstellt –, dieses zentrale Problem wird an keiner Stelle in der gebührenden Deutlichkeit zum Thema gemacht.
{FG}
Rubrizierung: 5.42 | 5.43 | 2.22 | 2.314 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Alex Demirović / Sebastian Klauke / Etienne Schneider (Hrsg.): Was ist der "Stand des Marxismus"? Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38581-was-ist-der-stand-des-marxismus_47209, veröffentlicht am 25.06.2015. Buch-Nr.: 47209 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken