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Eun-Jeung Lee

Ostasien denken. Diskurse zur Selbstwahrnehmung Ostasiens in Korea, Japan und China

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Japan in Ostasien 3); 207 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8487-1483-4
Eun‑Jeung Lee ermöglicht mit ihrer Studie einen Blick auf die Standortgebundenheit bei der Konstruktion politischer Begriffe und Zuschreibungen: „‚Asien‘ ist ein europäischer Begriffsentwurf, der bis in die griechische Antike zurückreicht. [...] Seitdem verkörperte Asien für die Europäer etwas, das sie bereits hinter sich gelassen hatten. Wirtschaftlich und politisch bestand für sie kein Zweifel an der Überlegenheit Europas“ (15). Auch wenn es von der Formulierung her nicht ganz unproblematisch ist – was ist in pauschaler Zuschreibung schon Europa? –, so zeigt dieses Beispiel doch sehr schön, worum es geht: um kollektive Zuschreibungen, die sich politisch instrumentalisieren lassen. Ein anderes Beispiel, das Lee ebenfalls referiert, ist der Diskurs über die „Asiatischen Werte“, wie er in den 1990er‑Jahren in westlichen Gesellschaften ausgetragen wurde. Asiatisch wurde darin assoziiert mit „Kollektivismus, Familismus, Fleiß, Sparsamkeit, Bildungseifer, Disziplin, Autoritätsglauben usw.“ (33) Das Problem hierbei habe nun darin bestanden, dass ostasiatische Politiker – Lee nennt allen voran Lee Kuan Yew, den langjährigen, autoritär agierenden Premierminister Singapurs, – sich ihrerseits auf diese aus einem westlichen Diskurs entlehnten Attribute berufen hätten. Das habe dazu geführt, dass Eigenschaften und Wertvorstellungen, die bei Max Weber noch als Ausweis der asiatischen Rückständigkeit gegolten hätten, nunmehr in einen eigenen ostasiatischen Diskurs gemündet seien. Obschon dieser als selbstreferentielle Beschreibung wirtschaftlichen Erfolgs begriffen worden sei, habe er jedoch die ihm wegen seines westlichen Ursprungs innewohnenden Grenzen nie überwinden können. Und auch andere wechselseitige Durchdringungen und Parallelen im Denken vermag Lee aufzuzeigen. Anhand des Staatsverständnisses von Yu Kil‑chun (1856‑1914), einem der wichtigsten koreanischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts, kann sie nicht nur seine Kritik am Neokonfuzianismus aufzeigen, sondern auch herausstellen, dass Yus Streben nach staatlicher Unabhängigkeit auf einer Vorstellung vom Staat gründet, die der Georg Jellineks und seiner Drei‑Elemente‑Lehre verblüffend ähnelt. Insofern ist der Band nicht zuletzt auch ein eindringliches Plädoyer für eine stärkere wechselseitige Bemühung um Rezeption und Verständigung zwischen Ost und West.
{LEM}
Rubrizierung: 5.342.232.685.42 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Eun-Jeung Lee: Ostasien denken. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38500-ostasien-denken_46842, veröffentlicht am 04.06.2015. Buch-Nr.: 46842 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken