Skip to main content
Sonja Schirmbeck

Normerosion. Zur Schwächung von Tabus in den internationalen Beziehungen. Nukleares Tabu und Folterverbot

Online-Publikation 2013 (http://d-nb.info/1044094486/34); XIII, 605 S.
Diss. Frankfurt a. M.; Begutachtung: T. Brühl. – Wie ist es möglich, dass (scheinbare) Tabus wie Folter und der Einsatz von Nuklearwaffen auch in liberalen Demokratien infrage gestellt werden? Sonja Schirmbeck versucht mit den Mitteln der Diskursanalyse eine Antwort auf diese Frage zu finden, indem sie da ansetzt, wo die bisherigen Forschungen zum zyklischen Modell der Normentwicklung in den Internationalen Beziehungen aufgehört haben. Sie setzt sich zunächst ausführlich mit dem Agent‑Struktur‑Problem auseinander, das für ihre Fragestellung von besonderer Relevanz ist. Der Grund hierfür liegt in der von Schirmbeck kritisierten Tendenz bisheriger Modelle der Normdiffusion, einmal etablierte beziehungsweise internalisierte Normen als gesichert, unangreifbar und „dem Zugriff des Akteurs entzogen“ (116) zu begreifen. Wolle man die Auflösung von Tabus erklären, die verstanden werden könnten als internalisierte „Meidungsverbote, die immer einen moralischen Kern haben, der den AnhängerInnen eines Tabus jedoch nicht bewusst sein muss“ (112), müsse die Möglichkeit vorausgesetzt werden, dass diese internalisierten Normen durch ihre Träger hinterfragt und angezweifelt werden könnten. An dieser Stelle beruft sich Schirmbeck auf den jüngeren Ansatz der „norm contestedness“, der eine solche „Agency“ von Akteuren betont. Die Autorin widmet sich im empirischen Teil ihrer Arbeit dann zwei offensichtlichen und gut dokumentierten Fällen. Damit zeigt sie, dass etablierte Normen tatsächlich erodieren können. Deutlich wird auch, wie dieser Prozess verlaufen kann. In dem einen Fall analysiert sie die Argumentationsweise im Streit über das Folterverbot. Ein Beispiel dafür ist die Strategie der Normgegner, Abwägungsentscheidungen zwischen scheinbar konkurrierenden Normen zu provozieren, wie im „ticking‑bomb scenario“ (Folter zur Verhinderung weiterer immanenter terroristischer Akte) geschehen, dem „Herzstück ihrer [gemeint sind die Gegner des Folterverbots] moralischen Argumentation“ (321). Wie Schirmbeck im Fall des nuklearen Tabus zeigt, kann es allerdings nach erfolgter Enttabuisierung auch zu „Retabuisierungstendenzen“ (503) kommen. Wenn die Autorin also auf mehr als 500 Seiten eine Innenschau des Prozesses der Demontage von als scheinbar unerschütterlich geltenden Normen in der Außenpolitik demokratischer Staaten liefert, bieten zumindest diese Tendenzen wiederum auch Grund zum Optimismus.
{CPA}
Rubrizierung: 4.12.64 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Sonja Schirmbeck: Normerosion. 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38110-normerosion_46099, veröffentlicht am 26.02.2015. Buch-Nr.: 46099 Rezension drucken