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Wilhelm Schlötterer

Wahn und Willkür. Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt

München: Wilhelm Heyne Verlag 2013; 448 S.; 2., akt.; 19,99 €; ISBN 978-3-453-20047-0
Der Titel ist plakativ, aber – wie sich bei der Lektüre alsbald zeigt – angemessen. Denn der Jurist Wilhelm Schlötterer, bis zu seiner Pensionierung ein hoher Finanzbeamter in Bayern, entfaltet in dieser Fortsetzung von „Macht und Missbrauch“ (siehe Buch‑Nr. 38084) ein Panorama von Amtsmissbrauch und Korruption, das man eher in Italien annehmen würde als in Süddeutschland. Die Informationen an sich stellen meist keine neuen Enthüllungen dar, denn Schlötterer stützt sich nicht nur auf eigene Erkenntnisse und Zeugenaussagen ihm gegenüber, sondern auch auf – unwidersprochen erschienene – Literatur zum Thema und Berichte der Medien. Die Leistung des Autors besteht darin, diese große Menge an deutlichen Hinweisen wie handfesten Fakten zusammengetragen zu haben, erkennbar wird so der Kontext, in dem die einzelnen Vorgänge zu verstehen sind. Somit nicht zu übersehen sind die strukturellen Bedingungen, die in Bayern Korruption und Amtsmissbrauch ermöglichen. Hervorzuheben ist hier die jahrzehntelange Alleinherrschaft der CSU, wobei Schlötterer Parteivorsitzende/Ministerpräsidenten von Strauß bis Seehofer als Alleinherrscher identifiziert. Soweit Schlötterer dies überblicken kann, kam mit Strauß die politische Kultur in Bayern ins Rutschen. Dessen Käuflichkeit sei hier schlaglichtartig aufgezeigt: Es sei davon auszugehen, dass Strauß den DDR‑Milliardenkredit deshalb einfädelte, weil er 30 Millionen D‑Mark Provision erhielt. Und sein Einsatz für die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf soll ihm von der Industrie mit 50 Millionen D‑Mark vergolten worden sein. Schlötterer beziffert die Summe aller Bestechungsgelder, die Strauß im Laufe seines politischen Lebens einsammelte, auf 250 Millionen D‑Mark – die Versuche seiner Kinder und Erben, dieses unversteuerte Vermögen zu verschleiern, füllen mehrere Buchseiten. Mit dem Tod von Strauß aber endete weder Strafvereitelung noch Amtsmissbrauch. Schlötterer setzt sich – auch am Beispiel Hessens – ausführlich mit unterlassenen Ermittlungen von Steuerhinterziehungen auseinander. Zu denken gibt auch der Unfalltod eines Staatsanwaltes, der seinen Beruf ernst nahm, sowie die zwangsweise Frühpensionierung von Polizeibeamten, die sich nicht von ihren Vorgesetzten einschüchtern ließen. In einem Fall ging es dabei um gestohlene Munition, die dann baugleich bei dem Mordanschlag auf Shlomo Lewin und Frieda Poeschke auftauchte. Schlötterer ordnet den Täter dem Rechtsextremismus zu – dieser Täter wurde von Ulrich Chaussy auch mit dem Attentat auf das Oktoberfest in Verbindung gebracht (siehe Buch‑Nr. 45387). Wie auch der im letzten Teil des Buches dargelegte Fall der rechtswidrigen Unterbringung von Gustl Mollath in der Psychiatrie unwiderlegbar zeigt, widerspricht die Verflechtung von Justiz und (CSU‑)Regierung in Bayern dem Grundsatz der Gewaltenteilung.
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Rubrizierung: 2.3252.3312.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Wilhelm Schlötterer: Wahn und Willkür. München: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38059-wahn-und-willkuer_44499, veröffentlicht am 12.02.2015. Buch-Nr.: 44499 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken