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Thomas Barfuss / Peter Jehle

Antonio Gramsci zur Einführung

Hamburg: Junius 2014; 191 S.; 13,90 €; ISBN 978-3-88506-084-0
Die Leitfigur des undogmatischen Marxismus, Antonio Gramsci, hat sich trotz oder auch gerade wegen der jahrelangen Isolation in italienischen Gefängnissen nie mit den einfachen, parteioffiziellen Antworten auf Probleme des Klassenkampfs zufriedengegeben. Als Dissident wahrgenommen und von wissenschaftlicher Literatur weitgehend abgeschnitten, habe Gramsci wichtige und neuartige Grundbegriffe entwickelt, er stehe gar für die „major turning points in marxist cultural theory“ (95). Thomas Barfuss und Peter Jehle beginnen ihre Einführung mit einer Kritik der eindimensionalen Gramsci‑Rezeption: Spannungen zwischen marxistischen Axiomen und Gramscis Hegemonietheorie wurden oft umschifft, indem man den spezifisch materialistischen Gehalt von Gramscis Hegemonietheorie weitgehend ausgeklammert, sie allgemein als politische Theorie oder gar als Ansatzpunkt zur „Dekonstruktion des Marxismus“ (31) verstanden hat. Die Autoren betonen demgegenüber den inneren Zusammenhang aller Teilstücke von Gramscis Werk, zu dem auch unbedingt eine Philosophie des Alltagsverstands gehört: „Ins Denken und Fühlen der Menschen kann [eine] Weltauffassung nur übergehen, wenn es […] gelingt, diese im Alltagsverstand zu verankern“ (39). Leider gehen die Autoren nicht auf die weiterhin bestehenden Spannungen mit der marxistischen Theorie ein: Die zentrale Frage, ob sich ein linker Diskurs von außen instrumentell in den Alltagsverstand einklinken soll oder stattdessen seine Inhalte selbst aus dem Alltagsverstand herausnehmen muss, wird nicht beantwortet. Gramscis Vorgehen, dabei „die Widersprüchlichkeit des Alltagsverstands kohärent“ (52) zu machen, bildet schließlich nicht weniger als einen genauen Kontrapunkt zu Marx, der Alltagsbegriffe wie den der Ware geradezu demontiert. Gramscis Unterscheidung des traditionellen und organischen Intellektuellen sowie sein Gegensatz zwischen Bewegungs‑ und Stellungskrieg (in Gestalt eines „organischen Zentralismus“, 78) wird mit einigem Material vor dem historischen und politischen Hintergrund kontextualisiert. Die Notwendigkeit einer Neukonzeption bestimmter marxistischer Axiome wird sehr deutlich dargestellt, ebenso Gramscis neuartige Zugänge zur Kulturkritik und seine Vision einer „neuen ‚intellektuellen und moralischen Ordnung‘“ (81). Und auch das Kernstück der neuen Gramsci‑Lektüre, die Staatstheorie, wird ausführlich diskutiert und in Kontext gesetzt. Die Autoren rekonstruieren, wie laut Gramsci bei Marx die wichtige „Unterscheidung von Zivilgesellschaft und politischer Gesellschaft“ (111) verschwindet. Auch die konkrete Rezeption Gramscis sowohl in Prozessen linker Parteibildung als auch in den Theorien internationaler Beziehungen findet Erwähnung.
{FG}
Rubrizierung: 5.465.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Thomas Barfuss / Peter Jehle: Antonio Gramsci zur Einführung Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37975-antonio-gramsci-zur-einfuehrung_46460, veröffentlicht am 15.01.2015. Buch-Nr.: 46460 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken