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Jost Hermand

Freunde, Promis, Kontrahenten. Politbiographische Momentaufnahmen

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2013; 256 S.; 24,90 €; ISBN 978-3-412-22158-4
Der Germanist Jost Hermand beschreibt in dieser in kurzen Kapiteln verfassten Autobiografie seine Begegnungen mit Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern in der Bundesrepublik, der DDR und den USA in den Jahren 1942 bis 2011. Während seiner Studienzeit in Marburg von 1950 bis 1956 erlebt Hermand den Universitäts‑ und Kulturbetrieb vor allem als eine unkritische Kontinuität mit dem Nationalsozialismus, wobei lediglich die Bevorzugung der abstrakten Malerei eine Ausnahme darstellte. Die Mitarbeit an einer im Ost‑Berliner Akademie‑Verlag erscheinenden Buchreihe über „Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“ macht Hermand für westdeutsche Universitäten verdächtig. Dies bewegt ihn, eine Stelle an der University of Wisconsin anzunehmen. Trotz Hermands Bemühungen, bilaterale Kontakte zu vermitteln, sind die gegenseitigen Bilder von Vorurteilen geprägt: Seine deutschen Kollegen halten die Amerikaner für kultur‑ und geschichtslose Banausen, seine amerikanischen Kollegen die Deutschen für Nazis. Den Studentenbewegungen ab 1968 in den USA begegnet Hermand mit Distanz, da er einerseits den Hintergrund der affirmativen westdeutschen Nachkriegszeit und andererseits das Bewusstsein über die Realität in der DDR mitbringt. Seine Forschungen über den politischen, romantischen und jüdischen Dichter Heinrich Heine zwingen ihn sowohl gegenüber amerikanischen wie gegenüber west‑ und ostdeutschen Kollegen zu einem klaren Positionsbezug. Neben der Germanistik stellt die Kunstgeschichte, besonders die Malerei des Jugendstils, einen Schwerpunkt in Hermands Tätigkeit dar. Die Beschäftigung mit dem Judentum und ab den 1980er‑Jahren mit dem Feminismus sind weitere langfristig behandelte Themen. Die Freundschaft zum amerikanischen Historiker deutsch‑jüdischer Herkunft George Mosse hat Hermand besonders beeinflusst. Im Literaturbetrieb in der DDR erkennt Hermand zahlreiche Widersprüche zur offiziellen Ideologie der Gleichheit, so etwa eine bevorzugte Behandlung wertgeschätzter Autoren von offizieller Seite. Wie speziell an den Berichten aus der jüngeren Vergangenheit deutlich wird, ergibt sich insgesamt das Bild eines reflektierten und vielseitigen Geisteswissenschaftlers, der sich nach allen Seiten hin distanziert und es vermeidet, sich politisch von einer Gruppierung vereinnahmen zu lassen. Lediglich der wiederholte Aufbau der kurzen Kapitel nach dem gleichen Muster ermüdet auf die Dauer etwas sowie einige Beschreibungen von Begegnungen mit anonymen jungen Menschen, deren einzige Pointe in der Unwissenheit Letzterer über wichtige Fakten aus der Geschichte oder Literatur liegt.
Maria Grazia Martino (MAR)
Dr., Politikwissenschaftlerin, FU Berlin.
Rubrizierung: 1.1 Empfohlene Zitierweise: Maria Grazia Martino, Rezension zu: Jost Hermand: Freunde, Promis, Kontrahenten. Köln/Weimar/Wien: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37638-freunde-promis-kontrahenten_45040, veröffentlicht am 09.10.2014. Buch-Nr.: 45040 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken