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Gesa Anne Trojan

Das Lager im Dorf lassen. Das KZ Neuengamme in der lokalen Erinnerung

Hamburg: Dölling und Galitz Verlag 2014 (Hamburger Zeitspuren 10); 157 S.; brosch., 10,- €; ISBN 978-3-86218-063-9
Kulturwiss. Abschlussarbeit Lüneburg. – Was sich auf den ersten Blick als herkömmliche kleine Studie ankündigt, entpuppt sich als eine sehr ungewöhnliche und zugleich als eine im selbst gesteckten Rahmen aufschlussreiche Analyse. Die Autorin ist selbst in Neuengamme, ihrem Ort der Untersuchung, aufgewachsen, und zu den 17 interviewten Einwohnern gehören ihre eigene Mutter und die beiden Großmütter. Dieser sehr persönliche Zugang hat Gesa Anne Trojan nicht den Blick verstellt, sondern wohl eher einige Türen geöffnet, um sich einer Erinnerung zu nähern, die die Befragten wohl am liebsten gar nicht in ihrem eigenen Leben hätten: In Neuengamme befand sich – für alle Anwohner unübersehbar – ein nationalsozialistisches Konzentrationslager. Die Autorin fragt, ob und wie sich – an diesem KZ festgemacht – die große Geschichte „im Kleinen niederschlägt“ (8). Nach einer kurzen Würdigung der Theorien des kollektiven Gedächtnisses nach Maurice Halbwachs sowie Aleida und Jan Assmann orientiert sie sich bei der Auswertung der Interviews mit Angehörigen dreier Generationen (Zeitzeugen, deren Kinder und Enkel) vor allem an dem Konzept des kommunalen Gedächtnisses nach Malte Thießen. Es zeigt sich, dass die Erinnerung in der unmittelbaren dörflichen Umgebung des ehemaligen Konzentrationslagers wenig mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der NS‑Diktatur und dem offiziellen Gedenken in der Bundesrepublik gemein hat – wobei sich die Frage stellt, ob die Stadt Hamburg mit der Weiternutzung des Geländes nach 1945 als Gefängnis nicht auch den Weg zu einem Konsens in der Erinnerung verstellt hat. Trojan erkennt eine Kluft zwischen der erinnerten Wahrnehmung der KZ‑Häftlinge (sie wurden der gestreiften Kleidung wegen als „Zebras“ bezeichnet und damit entmenschlicht) und dem heute in der Gesellschaft anerkannten Wissen um die Verbrechen der NS‑Diktatur. Die beiden Perspektiven konnten von den Zeitzeugen, die damals Kinder waren, nicht in eine (Lebens‑)Erzählung integriert werden. Die älteren Dorfbewohner haben deshalb ihre „Erinnerungen an das Konzentrationslager“ und damit an das sichtbare Leid der Häftlinge „aus ihren Erinnerungen abgespalten“. Der geografische Ort des Lagers ist in der Folge für alle Bewohner von Neuengamme „mit Unbehagen verbunden, er wird gemieden“ (118).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.352.3122.325 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Gesa Anne Trojan: Das Lager im Dorf lassen. Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37335-das-lager-im-dorf-lassen_45810, veröffentlicht am 24.07.2014. Buch-Nr.: 45810 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken