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Marc Schwietring

Holocaust-Industrie und Vergangenheitspolitik. Norman G. Finkelstein und die Normalisierung des sekundären Antisemitismus in Deutschland

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2014 (Politische Kulturforschung 9); 124 S.; 22,95 €; ISBN 978-3-631-58478-1
Magisterarbeit; Begutachtung: J. Perels. – Mit seinem Bestseller „Holocaust‑Industrie“ (siehe Buch‑Nr. 16830) avancierte Norman G. Finkelstein 2001 zum Kronzeugen des sekundären Antisemitismus. Marc Schwietring analysiert die sich an die Veröffentlichung anschließende deutsche Debatte. Zunächst führt er in Finkelsteins Biografie ein und setzt sich mit den zentralen Thesen des Buches kritisch auseinander. Dabei geht er auch kurz auf die Geschichte des geschmacklosen Begriffs „Holocaust‑Industrie“ ein, der auf den Holocaustleugner David Irving zurückgeht und durch Finkelstein auch weit außerhalb des rechtsextremen Spektrums Verwendung findet. Finkelsteins zentrale These lautet: Das Leid der Juden in der NS‑Zeit werde von einer jüdischen Clique in den USA missbraucht, um daraus möglichst viel Profit zu schlagen und jegliche Kritik an israelischer Politik abzuwehren. Deren Dogma sei die Singularität des Holocaust. Schwietring zeichnet dann die Debatte über das Buch insbesondere in den deutschen Feuilletons nach. Er macht deutlich, dass sich diese sehr von der in den USA unterschied, weil das Spektrum der Rezipienten im Land der Täter ein anderes war und das Werk für Teile der Bevölkerung eine historische Entlastung zu versprechen schien. Bemerkenswert an der deutschen Debatte ist nach Schwietring die Tatsache, wie ernsthaft die Auseinandersetzung mit einer an keiner Stelle durch Fakten belegten Polemik eines Mannes erfolgte, dessen einzige Kompetenz darin bestand, Sohn von Holocaust‑Überlebenden zu sein. In den USA hingegen hat eine Diskussion über die Rolle des Holocaust im Leben der eigenen jüdischen Bürger stattgefunden; im Mittelpunkt stand dabei mit Peter Novick aber ein anderer Autor, der exkursorische Erwähnung findet. Schwietrings gründliche Aufarbeitung der damaligen Debatte hilft, das Phänomen des sekundären Antisemitismus zu verstehen beziehungsweise am Beispiel Finkelsteins zu vermitteln. Der sekundäre Antisemitismus ist zwar seither (beziehungsweise nach der Möllemann‑Debatte 2002) in der öffentlichen Debatte nicht mehr so deutlich hervorgetreten und Studien deuten auf einen langsamen Rückgang antisemitischer Einstellungen in Deutschland hin. Dennoch hat Finkelsteins Publikation beträchtlich dazu beigetragen, den sekundären Antisemitismus in Deutschland salonfähiger zu machen.
Dirk Burmester (DB)
Dr., Politikwissenschaftler, wiss. Angestellter der Freien und Hansestadt Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Dirk Burmester, Rezension zu: Marc Schwietring: Holocaust-Industrie und Vergangenheitspolitik. Frankfurt a. M. u. a.: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37315-holocaust-industrie-und-vergangenheitspolitik_45971, veröffentlicht am 17.07.2014. Buch-Nr.: 45971 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken