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Harald Roth (Hrsg.)

Was hat der Holocaust mit mir zu tun? 37 Antworten

München: Pantheon 2014; 300 S.; 14,99 €; ISBN 978-3-570-55203-2
Die Antwort auf die Titelfrage könnte kurzgefasst lauten: Alles. Steht doch der Holocaust für das Furchtbarste, das Menschen einander antun können. Und daher gilt, wie der Auschwitz‑Überlebende Max Mannheimer am Ende des Buches Adorno zitiert: „‚Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung‘“ (284). Der Lehrer und Publizist Harald Roth, Mitglied von Gegen Vergessen – für Demokratie e. V. und Mitinitiator der KZ‑Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen, hat in diesem Sinne ein Lesebuch für junge Menschen zusammengestellt. In den 37, teilweise zuvor an anderer Stelle erschienenen Beiträgen kommen Überlebende, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker und Juristen zu Wort. Im Vorwort hält Roth Kritikern wie Martin Walser, „die über ein mediales Überangebot räsonieren“, entgegen, dass sie „meist einen simplen Sachverhalt“ übersehen: „Für die junge Generation ist es immer eine Erstbegegnung“ (10). In diesem Buch nun stellt sich diese Begegnung mit dem Holocaust als ein vielschichtiges Erlebnis heraus, bei dem Fakten und Emotionen dicht beieinander stehen. Auch wird die zeitlose Bedeutung dieser historischen Menschheitskatastrophe immer wieder deutlich, weil vor ihrem Hintergrund ein tieferes Verständnis vieler Erscheinungen und Entwicklungen möglich ist. Dies wird zum Beispiel in dem herausragenden Artikel von Herta Müller deutlich. Sie verknüpft die Erfahrungen bei ihrer eigenen Emigration 1987 aus Rumänien, zu der ein entwürdigendes Aufnahmeprozedere in der Bundesrepublik gehörte, mit dem grundsätzlichen Umgang in Deutschland mit Emigranten – gestern wie heute. Sichtbar werden so Kontinuitäten, mit denen Müller auch eine beschwiegene Lücke in der Erinnerung ausmacht: Diejenigen, die ins Exil getrieben wurden, gelten bis heute nicht als Opfer. Die Schriftstellerin schlägt daher die Einrichtung eines Exil‑Museums vor, das der „Erziehung zur Anteilnahme“ (129) dienen würde. Auf die Gegenwart richtet sich unter anderem auch der Blick von Wolfgang Benz. Er erklärt die Einzigartigkeit des Holocaust und widmet sich der Frage, ob man den Antisemitismus mit der Feindschaft gegen andere Minderheiten vergleichen darf. Benz skizziert die Ansätze einer vergleichenden Genozidforschung, die in der Singularität des Holocaust das wichtigste Paradigma erkennt. Die Ergebnisse der Holocaustforschung müssten genutzt werden, „um andere Völkermorde zu verstehen und zu erklären. Der Vergleich marginalisiert den Judenmord keineswegs.“ (229) Insgesamt ist der Band – nicht nur für junge Menschen – sehr zu empfehlen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.352.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Harald Roth (Hrsg.): Was hat der Holocaust mit mir zu tun? München: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37083-was-hat-der-holocaust-mit-mir-zu-tun_45273, veröffentlicht am 15.05.2014. Buch-Nr.: 45273 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken