Gustav W. Heinemann. Ein deutscher Citoyen. Biographie
Diss. Duisburg‑Essen; Begutachtung: W. Loth. – Biografen neigen oftmals dazu, die porträtierte Person entweder wohlwollend zu beurteilen oder aber sie abgrundtief abzulehnen. Zwischen diesen Polen gibt es selten Spielraum. Umso erfreulicher ist die Tatsache zu werten, dass Thomas Flemming in seiner Biografie über den einstigen Bundespräsidenten Gustav W. Heinemann weder der einen noch der anderen Richtung folgt. Vielmehr porträtiert er den vergleichsweise schlecht erforschten Heinemann auf der Basis einer bemerkenswerten Kleinarbeit, wobei er ihn keineswegs als Demokraten glorifiziert und auch nicht dessen Rolle als Vorstandsmitglied der Rheinischen Stahlwerke bei der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in moralischer Form beurteilt. Flemming argumentiert streng entlang der Quellen (und Quellenlücken). Die lange Beschäftigung mit Heinemann hat eine andere Folge, die diesem Werk sichtbar guttut, weil sie so exzellent zum Forschungsobjekt passt: Es ist der nüchterne Stil, der die Differenzierungen, die Widersprüche und Materiallücken jedenfalls gut zur Geltung bringt. Zwei biografische Aspekte bleiben dabei hängen. Heinemann gehört zu jener „Zwischengeneration“ (37), die am Ersten Weltkrieg nicht mehr aktiv teilgenommen hat, die aber über ein hinreichendes Bewusstsein verfügte, um sich in den 1920er‑Jahren erst politisch unbehaust zu fühlen und hernach den Nationalsozialisten nachzurennen. Ersteres trifft auch für Heinemann zu, der ja mehrfach die Parteimitgliedschaft wechselte. Letzteres machte er indes nicht und blieb allen Widrigkeiten zum Trotz Demokrat, wozu wohl auch beitrug, dass er mit „vergleichsweise wenig lebensgeschichtlichen ‚Hypotheken‘ belastet war“ (41). Der soziale Aufstieg des Vaters, die eigene unproblematische Schul‑ und Hochschulausbildung, die Zuwendung zur Kirche und der eigene berufliche Erfolg hatten es Heinemann sicherlich leicht gemacht, die „ganze Reihe von Brücken, Einschnitten und Wegscheiden“ (446) zu bewältigen.