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Annabelle Petschow

Zwei Seiten einer Medaille? Europäische und nationale Identität in Deutschland

Marburg: Tectum Verlag 2013 (Politikwissenschaften 57); 762 S.; hardc., 49,95 €; ISBN 978-3-8288-3178-0
Politikwiss. Diss. Bonn; Begutachtung: V. Kronenberg, T. Mayer. –„Europavorstellungen in Deutschland sind stets Vorstellungen über das Verhältnis von Europa und Deutschland sowie über Deutschlands Rolle in der Welt“ (38), schreibt Annabelle Petschow und vertritt damit die These, dass sich nationale und europäische Identität nicht ausschließen, sondern sich ergänzen und einander bedingen. Ausgehend vom 19. Jahrhundert untersucht sie, wie sich dieses Beziehungsgeflecht der Ideen von Nation und Europa im Kontext verschiedener historischer Konstellationen entwickelte. Unter anderem fragt sie, welche „Spannungen oder Symbiosen“ entstanden, mit welchen Mitteln und aufgrund welcher politischen wie kulturellen Bezüge ein europäisches Gemeinschaftsbewusstsein hergestellt und legitimiert wurde und „welche Funktionen Europa jeweils auch für die nationale Ebene erfüllen“ (40 f.) sollte. Petschow hat reichhaltiges Quellenmaterial ausgewertet, das Monografien, Zeitschriften‑ und Zeitungsartikel, Reden und Debatten aus dem politischen sowie dem intellektuellen Milieu umfasst. Damit gelingt es ihr, auf anschauliche Weise Kontinuitätslinien, aber auch Wandel und Brüche in der Qualität des Europagedankens aufzuzeigen. Beispielsweise macht sie deutlich, dass auch im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Nationalismus, ein „Nachdenken über Europa als geistiges und politisches Anliegen nie gänzlich verdrängt“ (131) war. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus erfuhr die in der katholischen Tradition verwurzelte Abendland‑Idee aus der Weimarer Republik eine Renaissance: „Das Abendland bietet eine Orientierung in einer von Krisen erschütterten Zeit, die sich möglicher Kritik, längst überholten und anachronistischen Grundsätzen nachzuhängen, aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung entziehen kann.“ (393) Weiterhin geht es um die intellektuellen und politischen Auseinandersetzungen über die Identitätsfindung der Bundesrepublik zu Beginn der 1980er‑Jahre (Historikerstreit, Verfassungspatriotismus, Verantwortungsgemeinschaft), um die Diskussionen über tragfähige Europaideen nach dem Ende der deutschen Teilung, um die Debatte über einen EU‑Beitritt der Türkei sowie über den Vertrag von Lissabon. Auf der Basis dieser gründlichen und umfangreichen Darlegungen darüber, wie der Europa‑Gedanke in den einzelnen Epochen mit Inhalt gefüllt wurde, wird insgesamt erkennbar, wie für Deutschland die europäische und nationale Perspektive auf „historisch einmalige Weise“ (620) miteinander verflochten sind. Die Arbeit schließt mit einer auch für die Einordnung künftiger Debatten hilfreichen Typologie von Europavorstellungen.
Anke Rösener (AR)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.31 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Annabelle Petschow: Zwei Seiten einer Medaille? Marburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36959-zwei-seiten-einer-medaille_45183, veröffentlicht am 10.04.2014. Buch-Nr.: 45183 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken