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Emmanuel Droit

Vorwärts zum neuen Menschen? Die sozialistische Erziehung in der DDR (1949-1989). Aus dem Französischen übersetzt von Michael Esch

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2014 (Zeithistorische Studien 54); 380 S.; 49,95 €; ISBN 978-3-412-22209-3
Geschichtswiss. Diss. Paris I; Begutachtung: E. François, S. Kott, D. Wierling, J. Schriewer, A. Marès, C. Metzger. – Emmanuel Droit lädt seine Leser ein, in die „ostdeutsche Schule gleichsam ‚hineinzutreten‘“ und ihm bei der Ausmessung der „Kluft zwischen den pädagogischen Intentionen der DDR und der Alltagsrealität“ zu folgen. Er orientiert sich dabei an der These Pierre Bourdieus, „dass die Schule eine zentrale Rolle dabei spielt, das staatliche Monopol auf symbolische Gewalt durchzusetzen“ (13). Damit hält er Abstand zu am Totalitarismus orientierten Ansätzen, um die Akteure als Subjekte verstehen und so zeigen zu können, dass es mit der Machtdurchsetzung nicht wie gewünscht funktionierte. Droit gliedert seine auf Ost‑Berlin konzentrierte Untersuchung, die er auf schriftliche Zeugnisse, Interviews und ausgewählte Fotos stützt und immer wieder auch mit einem Blick auf Frankreich bereichert, in die Phasen vor und nach dem Mauerbau. Mit der Erzählung von der Umstrukturierung der Schule hin zu einer zehnjährigen Einheitsschule (gegen den Widerstand vieler Eltern mit selbst nur einfacher Bildung) und deren Ausrichtung auf naturwissenschaftliche und technische Schwerpunkte (in den jungen Menschen wurden die Facharbeiter von morgen gesehen) treten immer wieder neue Beteiligte auf: erst die Lehrer, von denen viele an einer Berufsethik und nicht an der Ideologie festhalten wollen, und die Eltern, die im Laufe der Jahre meist einen pragmatischen Umgang mit dem System entwickeln; dann die Funktionäre der Jugendorganisationen, die Arbeiter von Patenbetrieben (die eher wortlos Spenden und Sachleistungen anbieten) und (pensionierte) Soldaten, die im Wehrkundeunterricht zur Militarisierung der Schule im selbsternannten Friedensstaat beitragen, sowie schließlich Stasi‑Offiziere. Und mittendrin – so zeigt der Autor lebendig geschrieben – entwickeln die Schüler, von denen viele (auch mithilfe der westlichen Medien) in der Lage bleiben, sich eine eigene Meinung zu bilden, eine So‑tun‑als‑ob‑Haltung, durchaus mit der Wiedervereinigung im Hinterkopf. Meist akzeptieren sie die schulischen Spielregeln, ziehen aber in den höheren Jahrgangsstufen das FDJ‑Hemd einfach nicht mehr an. Zum inneren Abstand zum System haben, so lässt sich der Analyse entnehmen, nicht nur die lebensfernen Parolen (Liebe zur Sowjetunion/Hass auf die Bundesrepublik), Mangelwirtschaft und Mauer beigetragen, sondern auch, dass jeglicher Versuch, individuell auch nur über den eigenen Mode‑ oder Musikgeschmack bestimmen zu wollen, als politische Dissidenz interpretiert und behandelt wurde. Hervorzuheben ist Droits Nachweis, dass die SED mit einem ihrer wichtigsten selbstgesteckten Ziel scheiterte: Das Bildungssystem wurde sozial nie so durchlässig wie gewünscht. Die soziale Herkunft blieb auch in der DDR ein wichtiger Faktor für die Zukunft eines Kindes.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Emmanuel Droit: Vorwärts zum neuen Menschen? Köln/Weimar/Wien: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36932-vorwaerts-zum-neuen-menschen_45228, veröffentlicht am 03.04.2014. Buch-Nr.: 45228 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken