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Birthe Kundrus / Sybille Steinbacher (Hrsg.)

Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Der Nationalsozialismus in der Geschichte des 20. Jahrhunderts

Göttingen: Wallstein Verlag 2013 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 29); 206 S.; brosch., 20,- €; ISBN 978-3-8353-1302-6
Ausgehend von einem immer größeren Wissens‑ und Forschungsstand zum Nationalsozialismus bei gleichzeitig fortschreitender zeitlicher Distanz zu den Jahren 1933 bis 1945 wendet sich der Band der Kontinuitätsfrage zu. Geleistet werden soll ein Beitrag zur Historisierung des Nationalsozialismus. In ihrer Einleitung werfen die Herausgeberinnen anhand eines Durchgangs durch die Forschungsdebatte eine Vielzahl von Fragen nach Vorgeschichte und Wirkung auf: Welche „Wirkungsketten und ‑brüche“ sind erkennbar, aus welchem Wissen schöpfte der Nationalsozialismus und „wie lotsten Deutungen der NS‑Vergangenheit Akteure und deren Handlungen nach 1945?“ (12) Als zentrale Klammer der Beiträge erscheint das Aufzeigen nicht nur der „Parallelität von Bruch und Kontinuitäten, sondern das Ineinandergreifen beider Momente“ (27). Die ambitionierten Aufsätze stecken ein weites Feld ab: Moritz Föllmer etwa erörtert, wie kollektivistisch der Nationalsozialismus war und will diesen auch „als eines von vielen möglichen Produkten der Weimarer Kultur der Individualität verstanden“ (51) wissen. Dadurch werde deutlich, wie der Nationalsozialismus einerseits die Gesellschaft vor 1933 ablehnen, gleichwohl mit dem neuen Konzept der Volksgemeinschaft auch tradierte Sehnsüchte ansprechen konnte. Weitere Beiträge sind wissenschaftshistorischen und sozialgeschichtlichen Fragen gewidmet, so fragt Claudius Torp nach den „Spielräumen des Konsums“ (73 ff.) im NS. Tatsächlich waren die materiellen Zugewinne für den Verbraucher im Bereich der Wohlstandsgüter nach 1933 faktisch spürbar. Trotz Engpässen und Rationierungen sorgte die Stabilität der Versorgung dann für die Loyalität der Bevölkerung auch während des Krieges. Letztlich geriet der Konsum „zum Integrationsmittel einer völkischen Leistungs‑ und Erlebnisgemeinschaft“ (93). Stefanie Middendorf und Kim Christian Priemel spüren den Kontinuitäten der NS‑Finanz‑ und Wirtschaftspolitik nach und ordnen diese in „eine längere Kopplungsgeschichte von Politik und Wirtschaft im 20. Jahrhundert“ (119) ein. Somit markierte 1933 keinen Bruch, da die privatkapitalistischen Verhältnisse nicht aufgehoben wurden, sondern „privatwirtschaftliche Funktionsweisen“ wurden „in die Vision einer organischen Lenkung einzukalkulieren versucht“ (120). Felix Aster zeigt anhand des Begriffes der Arbeit Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen kolonialem Rassismus und NS‑Antisemitismus auf. Ging es beim Kolonialismus um die Erziehung der vermeintlich faulen Primitiven zur Arbeit, formierte sich der NS‑Arbeitsbegriff in Abgrenzung zu den Juden, deren unterstellte „Nicht‑Arbeit“ beziehungsweise „Anti‑Arbeit“ als zersetzend und gemeinschaftszerstörend konstruiert wurde. Wie immer runden Berichte und Rezensionen die Beiträge in dieser Reihe ab.
Christoph Kopke (CKO)
Dr. phil., Dipl.-Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 2.312 | 2.314 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Christoph Kopke, Rezension zu: Birthe Kundrus / Sybille Steinbacher (Hrsg.): Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Göttingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36756-kontinuitaeten-und-diskontinuitaeten_44738, veröffentlicht am 20.02.2014. Buch-Nr.: 44738 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken