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Johannes Nikolaus Oschlies

In welcher Art Demokratie wollen wir leben? Normative Einstellungen von Bürgern und politischen Eliten in Estland und Ostdeutschland

Berlin: Lit 2013 (Gesellschaftliche Transformationen 19); XI, 299 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-643-12050-2
Diss. Erfurt; Begutachtung: F. Ettrich, V. Pettai. – Johannes Nikolaus Oschlies untersucht vergleichend die Demokratievorstellungen in den postkommunistischen Gesellschaften Ostdeutschlands und Estlands zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion. So ist es möglich, die Übereinstimmung der Demokratievorstellungen von Bürgern und politischen Eliten zu überprüfen. Dabei geht er nicht von einem bestimmten Demokratieverständnis aus, sondern präsentiert fünf unterschiedliche Modelle (libertär, liberal, sozialistisch, direkt‑demokratisch und deliberativ). Aus methodischer Sicht ist die Studie dahingehend interessant, da sie einen qualitativen Weg einschlägt (Q‑Methode) und somit einen starken explorativen Charakter besitzt. Aus diesem Grund können die Ergebnisse der Studie auch nicht verallgemeinert werden, sondern lassen nur Aussagen über die tatsächlich interviewten Bürger‑ und Eliten‑Gruppen zu (insgesamt 114 Interviews). Oschlies zeigt, dass die Diskrepanz in den Demokratievorstellungen zwischen Bürgern und Eliten in Estland größer ist als in Ostdeutschland. Während estnische Eliten ein stärker minimalistisches, eher libertäres Demokratiemodell befürworten, findet sich diese Vorstellung bei den Bürgern nicht. In Ostdeutschland wird ein solches Modell sowohl von Bürgern als auch Eliten abgelehnt. Stattdessen findet sich eine Reihe von Anhängern des sozialistischen Demokratiemodells, das eine stärkere Verankerung sozialer Rechte vorsieht. Des Weiteren ist zu beobachten, dass die Vorstellungen von Demokratie unter den Bürgern vielfältiger sind als unter den Eliten, vor allem finden sich wesentlich häufiger Forderungen nach mehr Partizipationsmöglichkeiten. Zudem stellt er fest, dass die Skepsis mit Blick auf die jeweils vorherrschende Demokratieform vor allem bei denjenigen Bürgern zunimmt, die in unsicheren oder prekären Verhältnissen leben. In Estland schlägt diese Skepsis zum Teil gar in eine Ablehnung der Demokratie um. Als mögliche Erklärung hierfür führt Oschlies unter anderem an, dass der estnische Sozialstaat sehr schwach ausgebaut ist, gleichzeitig das Land zu den EU‑Staaten mit der höchsten Einkommensungleichheit sowie einer hohen Arbeitslosigkeit gehört; die Wirtschaftskrise verschärft seit 2008 die Situation zusätzlich. Die Studie zeigt, dass es sowohl sinnvoll ist, offen an die demokratische Frage heranzugehen, als auch sich in Analysen denjenigen zuzuwenden, die die Demokratie faktisch gestalten.
Christoph Mohamad-Klotzbach (CHM)
M. A., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft und Sozialforschung, Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Rubrizierung: 2.23 | 2.61 | 2.2 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Christoph Mohamad-Klotzbach, Rezension zu: Johannes Nikolaus Oschlies: In welcher Art Demokratie wollen wir leben? Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36693-in-welcher-art-demokratie-wollen-wir-leben_44588, veröffentlicht am 06.02.2014. Buch-Nr.: 44588 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken