Skip to main content
Peter Ambros

Das wortreiche deutsche Schweigen

Hamburg/Berlin: Argument 2013 (Literaturbibliothek); 191 S.; geb., 16,- €; ISBN 978-3-88619-492-6
Er rechne „mit den vier Jahrzehnten meines Lebens in Deutschland“ (53) ab, schreibt der Publizist und Schriftsteller Peter Ambros, der lange Pressesprecher der jüdischen Gemeinde in Berlin und Redenschreiber von Heinz Galinski war. Sein zentraler Vorwurf an die politische Kultur des Landes ist der des wortreichen deutschen Schweigens nach dem Holocaust. An einzelnen „Fällen“ festgemacht – zugeordnet Namen oder Stichworten wie Walser, Stunde Null, Lea Rosh, Mauer, Historikerstreit oder Adorno – setzt er sich autobiografisch eingefärbt, essayistisch und in deutlichen Worten mit einer sich jahrzehntelang windenden politischen Kultur in Westdeutschland auseinander, die nur die Juden der Vergangenheit kennt. Seine Interpretationen etwa der Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger über die Pogrome am 9. November 1938 oder des Schriftstellers Martin Walser in der Paulskirche über die vermeintliche Instrumentalisierung von Auschwitz in der politischen Debatte fallen dabei differenziert aus, Ambros achtet sehr auf die Zwischentöne. Insgesamt bleibt der Eindruck einer Erinnerung an den Holocaust, in der die sich erinnernden Nachkommen der Mehrheitsgesellschaft und damit der Täter immer noch nicht zu sich selbst gefunden haben. Und noch stärker scheint es an einem Miteinander auf Augenhöhe mit den jüdischen Mitbürgern der Gegenwart zu fehlen. Diese Klage leidet allerdings darunter, dass es im Buch zeitlich drunter und drüber geht. Im Vorwort wird die Gedenkfeier für die Opfer des NSU im Februar 2012 als Anlass für diese Publikation genannt, große Teile des Textes stammen aber ganz offensichtlich aus den 1990er‑Jahren. Ungenauigkeiten führen dann etwa dazu, dass in einem Absatz die Rede davon ist, dass der Staat Israel in „zwei Tagen“ (110) 50 Jahre alt wird (die Niederschrift also auf 1998 datiert), im nächsten Abschnitt aber von den deutschen Soldaten in Afghanistan die Rede ist. So passt einiges nicht zusammen. Damit ist das Buch über weite Strecken leider eine verpasste Gelegenheit. Man hätte sich an dieser Stelle lieber eine „echte“ Autobiografie gewünscht, denn Ambros, der in der Slowakei geboren wurde, dessen Eltern dem Holocaust entfliehen konnten, der in Israel lebte und in Berlin die von ihm kritisierte politische Kultur hautnah zu spüren bekam, hat – so viel wird bei der Lektüre fraglos deutlich – eigentlich viel zu erzählen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.313 | 2.315 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peter Ambros: Das wortreiche deutsche Schweigen Hamburg/Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36217-das-wortreiche-deutsche-schweigen_43767, veröffentlicht am 26.09.2013. Buch-Nr.: 43767 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken