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Pierre Rosanvallon

Die Gesellschaft der Gleichen. Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt

Hamburg: Hamburger Edition 2013 ; 384 S. ; geb., 33,- €; ISBN 978-3-86854-257-8
Wir leben – so beginnt der französische Sozialphilosoph seine neue Studie eindringlich – in den Zeiten eines säkularen Bruchs, in der Demokratie wohl als politische, aber kaum noch als soziale Form praktiziert wird. Wesentliche Triebfeder dieser Entwicklung, die über Trennungs‑, Abgrenzungs‑ und Ghettoisierungsmechanismen die Grundlagen des Gemeinwesens gefährdet, ist der rasante Anstieg von Ungleichheiten. Und obschon zahlreiche Untersuchungen diese skandalösen Spaltungsprozesse belegen, scheint heute eine unausgesprochene Akzeptanz der Ungleichheitsdynamik zu herrschen. Gegen diesen faktischen Mainstream möchte Pierre Rosanvallon mit seiner historische und theoretische Perspektiven verbindenden Studie dazu beitragen, den „Gleichheitsgedanken neu zu beleben“ (17). In der historischen Perspektive zeichnet der Autor Entstehung und Verfall des Gleichheitsgedankens nach. Zunächst stellt er als wesentliche Gemeinsamkeit der französischen und amerikanischen Revolution ein Verständnis demokratischer Gleichheit heraus, das – auf Basis von Menschenrechten, Marktprinzipien und allgemeinem Wahlrecht – die Dimensionen der Ähnlichkeit, Unabhängigkeit und Staatsbürgerschaft verknüpfte. Im Zuge von Industrialisierung und Kapitalisierung sind diese revolutionären Errungenschaften der vorkapitalistischen Phase rückgängig gemacht worden und erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Ausbaus des redistributiven Wohlfahrtsstaats gelang durch die Institutionalisierung kollektiver Solidarität eine Antwort auf die soziale Frage. Beflügelt vom Neoliberalismus und einem singulären Individualismus setzt Ende des 20. Jahrhunderts mit der Durchsetzung des flexiblen Kapitalismus der Rückschlag ein, der die Solidarinstitutionen zunehmend delegitimiert und steigende Ungleichheiten unter Berufung auf das in sich inkonsistente Konzept von Chancengleichheit rechtfertigt. Abschließend entwirft Rosanvallon ein sehr anregendes Modell pluraler Gleichheit, bei dem Singularität (Anerkennung von Differenz), Reziprozität (gleiche Beteiligung am Gemeinwesen) und Kommunalität (aktive Bürgerschaft) die Schlüsselbegriffe sind.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Pierre Rosanvallon : Die Gesellschaft der Gleichen. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36161-die-gesellschaft-der-gleichen_43810, veröffentlicht am 12.09.2013. Buch-Nr.: 43810 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken