Wolfgang Abendroth und der "reale Sozialismus" Ein Balanceakt
Wolfgang Abendroth zählt zu den prägenden Figuren der deutschen Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Für ihn selbst wie für die Öffentlichkeit war dabei immer klar, dass er ein „linker“ politischer Denker ist. In der Weimarer Republik für die KPD aktiv, ging er nach dem Krieg aus eigenem Entschluss in die Sowjetische Besatzungszone, siedelte jedoch schon 1948 nach Westdeutschland über, weil er den im Osten eingeschlagenen Weg des totalitären Stalinismus ablehnte. Gleichwohl überwarf er sich 1961 mit der SPD und setzte sich für die Wiederzulassung der verbotenen KPD in der Bundesrepublik ein. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Abendroths Verhältnis zum Sozialismus einer häufigen Wandlung unterlag. In der Abendroth‑Literatur ist dies jedoch bisher kaum berücksichtigt worden; es bestand die Tendenz, Abendroths Denken über die Jahrzehnte zu „homogenisieren“ (13). Uli Schöler gelingt es in seiner durchweg quellengestützten Analyse, die Brüche in Abendroths Verhältnis zum Staatssozialismus schlüssig darzulegen. Insbesondere das Jahr 1968 erscheint dabei als Zäsur: Während zuvor eine sehr kritische Haltung deutlich wurde, überwiegt in der Zeit nach 1968 etwas, das Schöler als „Abendroth‘sche[s] Unvermeidlichkeitsparadigma“ (179) bezeichnet: Mit zunehmendem Alter treten die tatsächlichen politischen Akteure in seinen Schriften immer mehr in den Hintergrund und es überwiegt stattdessen die Sichtweise eines historischen Fatalismus, der alle Ereignisse einem vermeintlich objektiv erforderlichen Ablauf der Geschichte unterordnet und Handlungsalternativen zunehmend ausblendet. In einer kritischen Bilanz urteilt Schöler daher, dass somit vor allem Abendroths Texte vor 1968 auch heute noch lesenswert und insbesondere „anschlussfähig“ (186) sind.