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Oliver Decker / Johannes Kiess / Elmar Brähler

Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose

Gießen: Psychosozial-Verlag 2013 (Forschung Psychosozial); 227 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-8379-2294-3
Seit 2002 haben Leipziger Wissenschaftler die Entwicklung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland untersucht und in diesem Kontext alle zwei Jahre repräsentative Befragungen durchgeführt (siehe Buch‑Nr. 43038). In diesem Band präsentieren sie die zentralen Ergebnisse, die sie in eine gesellschaftliche Theorie einbetten. Zwar wurde sie bereits in den früheren Arbeiten vorgestellt, doch Decker et. al. räumen ihr hier mehr Platz ein. Im Zentrum steht die Vorstellung einer Moderne als Ort permanenten Wandels und krisenhafter Umbrüche. Deutschland wird dabei keineswegs als ein vollständig säkularisiertes Land verstanden, denn der Kapitalismus weise zahlreiche religiöse Merkmale auf. Zugleich wirke er als „narzisstische Plombe“ (19) auf die nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Selbstwert erschütterte deutsche Volksseele. In der Analyse der Hintergründe rechtsextremer Einstellungen scheint leider alles irgendwie mit allem zusammenzuhängen; sie liest sich daher auch eher wie eine linke Fundamentalkritik herrschender Zustände – versehen mit zahlreichen Verweisen auf Karl Marx. Die Autoren kritisieren u. a. die neoliberale Wirtschaftspolitik und die Ökonomisierung vieler Lebensbereiche. Sie beklagen den Verlust politischer Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit. Der demokratische parlamentarische Prozess sei fassadenhaft und die Bürger würden sich nicht ausreichend politisch beteiligen. Lesenswert ist hingegen das Kapitel über die Bedeutung von Verschwörungstheorien für Rechtsextremisten – ein Aspekt, der bislang in der Rechtsextremismusforschung relativ wenig thematisiert wurde. Hinter der „Verschwörungsmentalität“ (145) stecken demnach unbewusste Außenprojektionen zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Kontrolle und Verstehen. So werden etwa Kriege oder Umstürze als gewollt und planbar wahrgenommen. Die Analyse politischer Einstellungen mit den Mitteln der Psychologie kann wertvolle Erkenntnisse über die etablierten politikwissenschaftlichen Herangehensweisen hinaus liefern. Dennoch ist bei der Deutung quantitativer Daten mittels psychologischer Theorien Vorsicht geboten.
Dirk Burmester (DB)
Dr., Politikwissenschaftler, wiss. Angestellter der Freien und Hansestadt Hamburg.
Rubrizierung: 2.37 | 2.35 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Dirk Burmester, Rezension zu: Oliver Decker / Johannes Kiess / Elmar Brähler: Rechtsextremismus der Mitte. Gießen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36086-rechtsextremismus-der-mitte_44300, veröffentlicht am 22.08.2013. Buch-Nr.: 44300 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken