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Norbert Frei / Wulf Kansteiner (Hrsg.)

Den Holocaust erzählen. Historiographie zwischen wissenschaftlicher Empirie und narrativer Kreativität

Göttingen: Wallstein Verlag 2013 (Vorträge und Kolloquien 11); 272 S.; brosch., 18,- €; ISBN 978-3-8353-1077-3
Die Frage nach einer angemessen Darstellung des Holocaust hat in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen immer wieder zu kontroversen Debatten geführt. Eine Tagung des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts brachte im Juni 2011 eine Reihe international renommierter Geschichts‑ und Literaturwissenschaftler zusammen, um Probleme und Perspektiven der textlichen Repräsentation des Holocaust zu debattieren. Bezugspunkte bilden die Theorie der Poetik der Geschichtsschreibung des US‑amerikanischen Wissenschaftlers Hayden White und jüngere Werke seiner Kollegen Saul Friedländer (siehe Buch‑Nr. 39660) und Christopher Browning (siehe Buch‑Nr. 23934), die auf dem Symposium alle als Referenten vertreten waren. Damit wird an die Diskussionen einer Konferenz angeknüpft, die im Frühjahr 1990 ebenfalls unter Beteiligung dieser Historiker in Los Angeles stattgefunden hatte. Deutlich wird die Tendenz zu einem Multiperspektivismus, der singuläre Erklärungsansätze vermeidet und zugleich versucht, das oft bemängelte Neben‑ oder gar Gegeneinander von Opfer‑ und Täterperspektiven aufzulösen. Der in den USA lehrende deutsche Historiker Wulf Kansteiner bescheinigt in diesem Zusammenhang Friedländers Studie „Die Jahre der Vernichtung“, die „konventionellen Grenzen realistischen geschichtswissenschaftlichen Erzählens“ (19) zu überschreiten. Das spannungsreiche Verwenden verschiedener Erzählperspektiven und Handlungsebenen ermögliche es der transnational angelegten Untersuchung, sowohl fachliche als auch moralische Ansprüche einer angemessenen Holocaustdarstellung zu erfüllen. Der zweisprachige Tagungsband bietet ebenfalls interessante Spannungen, indem er die Repliken der Autoren auf die Beiträge zu ihren Werken abdruckt und außerdem die Wortmeldungen aus den Plenumsdebatten sowie einer Podiumsdiskussion aufnimmt. Die – oft verneinte – Frage, ob der Holocaust überhaupt „erzählbar“ (240) sei, wird am Ende im Sinne einer „konfigurative[n] Struktur des Erzählens“ (David Fulda, 241) jedenfalls einhellig positiv beantwortet.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.2 | 2.23 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Norbert Frei / Wulf Kansteiner (Hrsg.): Den Holocaust erzählen. Göttingen: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36078-den-holocaust-erzaehlen_42318, veröffentlicht am 15.08.2013. Buch-Nr.: 42318 Rezension drucken