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Marc Lindemann

Kann Töten erlaubt sein? Ein Soldat auf der Suche nach Antworten

Berlin: Econ 2013; 251 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-430-20139-1
Ein Buch, dessen Titel eine – zumindest von der Anmutung her – rhetorische Frage ist, die wohl bloß mit einem „Nein“ zu beantworten ist, kann eigentlich nur langweilig sein. Lindemann, der bereits durch eine tendenziell polemische Kritik des deutschen Einsatzes in Afghanistan hervorgetreten ist (siehe Buch‑Nr. 38144), beweist, dass es auch anders geht: Im Zentrum steht die Frage, wann deutsche Soldaten – und damit: die deutsche Regierung – „letale Wirkmittel“ (25), also tödliche Waffen, zur Durchsetzung militärischer und politischer Ziele einsetzen wollen. Diese Frage ist nicht nur angesichts der angestrebten Beschaffung von unbemannten Drohnen durch das Bundesministerium der Verteidigung von erheblicher Brisanz, eben weil sie, wie das US‑amerikanische Beispiel belegt, mittlerweile das gezielte Töten als eine eigenständige Form der Kriegsführung ermöglicht. Neben einer völkerrechtlichen Betrachtung dieser Praxis konzentriert sich Lindemann insbesondere auf den deutschen Umgang mit der Anwendung militärischer Gewalt. Seine Einschätzung klingt zunächst plausibel: Die Praxis des gezielten Tötens verbleibt immer auf einer prekären moralischen, rechtlichen und politischen Ebene – auch wenn sie aus den „edelsten Motiven“ (218) heraus erfolgt. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass ein eindeutiges Argument gegen das „Du sollst nicht töten“ oder die Menschenwürde und das Recht auf Leben sich nicht konstruieren lässt – was wiederum bedeuten müsste, dass die Praxis der gezielten Tötung amoralisch, unrechtmäßig und apolitisch wäre. Das wäre ein konsequentes Urteil gewesen – und hier wird Lindemanns Darstellung dann selbst prekär und er selbst vielleicht ein Opfer seiner eigenen Praxiserfahrung, die nicht mehr distanziert zu reflektieren ist. Deutlich wird diese Distanzlosigkeit des ehemaligen Soldaten Lindemann an solchen Stellen: „Die Verantwortung liegt dann [im Falle der gezielten Tötung, M.L.] bei einzelnen Personen, die [...] aufgrund ihrer hoffentlich vorhandenen Charakterstärke eine Abwägung treffen müssen [...].“ Die Frage ist dann nicht, wie Lindemann meint, woher man solches Personal – solche Männer, solche Führungsfiguren gar? – gewinnt. Die Frage ist, was das dann noch mit Demokratie zu tun hat, wenn einzelne, kontingente Entscheider die Grenze zwischen Leben und Tod markieren dürfen. Ungeachtet solcher – vielleicht auch aufgrund der Thematik unausweichlichen – Untiefen des Bandes bleibt der Text dennoch lesens‑ und, da ist Lindemann zuzustimmen, der Diskussion wert.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.41 | 4.21 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Marc Lindemann: Kann Töten erlaubt sein? Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36035-kann-toeten-erlaubt-sein_44093, veröffentlicht am 08.08.2013. Buch-Nr.: 44093 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken