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Norbert Kaczmarek

"…statt immer nur herumzudenken" Richard von Weizsäcker und Berlin 1978 bis 1984

Berlin: Vergangenheitsverlag 2012; 348 S.; pb., 19,90 €; ISBN 978-3-86408-091-3
Über seine Amtszeit als Bundespräsident wurde viel geschrieben, Richard von Weizsäckers Jahre als Berliner Bürgermeister waren dagegen bisher nur Randaspekte in der öffentlichen Wahrnehmung. Nicht für von Weizsäckers damaligen Büroleiter Norbert Kaczmarek. Der hält sich mit Bewunderung für seinen ehemaligen Chef nicht zurück. Er beschreibt ihn als Ehrenmann für den der Säbel in politischen Duellen nicht zur Diskussion stand, aber es blieben ja noch „Degen, Florett und Seziermesser“ (141). Von Weizsäcker sei legendär pünktlich, korrekt und im Wahlkampf stets darauf bedacht gewesen, Kontrolle über Stil und Inhalt der Wahlwerbung zu behalten. Er korrigierte Anzeigentexte akribisch und veränderte große Teile dessen was ihm „Wortakrobaten“ (140) aus Werbeagenturen vorlegten. Vom Wahlkampfstress lenkte er sich mit Tischtennisspielen ab. Beim Spiel wie im Wahlkampf habe der Träger des Goldenen Sportabzeichens erst zurückhaltend agiert, auf Herausforderungen aber mit Kampfgeist reagiert. Kaczmarek beobachtete auch ein „verdeckt‑sympathisches Selbstbewusstsein“ (137) und eine sanfte Selbstironie, mit der von Weizsäcker Kritikern begegnete. Berlin erlebte einen starken Lagerwahlkampf. Zielscheiben der CDU‑Kampagne waren Hausbesetzer und Pazifisten, die gegen die Militarisierung der Stadt opponierten. Die fragile Insel‑Situation Westberlins und die Ostpolitik verliehen der Wahl bundesweite Bedeutung. Rückblickend wirkt die politische Szenerie gediegen: Von Weizsäcker hielt auch am Wahltag seinen Mittagsschlaf, scharfe Töne wurden im Wahlkampf behutsam eingesetzt, Imageberater und Meinungsforscher waren noch ein Novum. Die CDU verpasste 1981 die absolute Mehrheit. Von Weizsäcker bildete aber nach 35 Jahren SPD‑Regierung einen von der FDP tolerierten Minderheitssenat. Das Wahlergebnis sei ein Erdbeben, ein Aufbruch gewesen, aber kein Zufall. Von Weizsäcker habe erreicht, dass die CDU „reformfreudig“ wirkte, „ohne in den Verdacht zu geraden, Revolutionäres im Schilde zu führen“ (148). Kaczmarek gelingt selten eine kritische Distanz zur damaligen CDU. Ihr unterstellt er ein reines Gewissen, gefestigte Überzeugungen und Volksnähe. Die alte SPD‑Regierung beschreibt er als überfordert, müde, zerschlissen, abgehoben. Kaczmarek schreibt detailreich, kurzweilig, manchmal altmodisch. Harmlos umständlich sind Formulierungen wie die „ehrabschneidenden falschen Behauptungen“ (141), ärgerlich gestrig aber der Begriff „Ausländerproblem“ (149).
Wolfgang Denzler (WDE)
Diplom-Journalist, Student, Institut für Politikwissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.313 | 2.325 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Norbert Kaczmarek: "…statt immer nur herumzudenken" Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35916-statt-immer-nur-herumzudenken_43819, veröffentlicht am 04.07.2013. Buch-Nr.: 43819 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken