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Eckard Michels

Guillaume, der Spion. Eine deutsch-deutsche Karriere

Berlin: Ch. Links Verlag 2013; 414 S.; geb., 24,90 €; ISBN 978-3-86153-708-3
Willy Brandt konnte ihn nicht leiden, diesen Mitarbeiter, der als getreuer SPDler seinen Weg ins Kanzleramt gefunden hatte, unter anderem für die Kontakte zu den Gewerkschaften zuständig war und gut organisieren konnte. Dem damaligen Bundeskanzler ging die „Mischung aus Servilität und Kumpelhaftigkeit“ (136), die Günter Guillaume an den Tag legte, auf die Nerven. Aber als er sich so langsam überlegte, ihn auf einen anderen Posten wegzuloben, war es zu spät: Guillaume enttarnte sich an einem Morgen im Jahre 1974 bei einer Razzia, die ohne belastbare Beweise in seiner Wohnung stattfand, selbst als Spion der DDR. Wenig später trat Brandt als Bundeskanzler zurück. Eckard Michels, der an der University of London Geschichte lehrt, legt nicht das erste Buch zu diesem Fall vor – aber es könnte das letzte, abschließende sein. Denn er stützt seine Schilderung nicht nur auf die Erinnerungen des Guillaume‑Sohnes Pierre Boom (siehe Buch‑Nr. 24181), seiner Eltern, Brandts und anderer Akteure, sondern hat, und dies hebt dieses Buch von anderen ab (siehe etwa: Hermann Schreiber, „Kanzlersturz“, Buch‑Nr. 23640), nun zugängliche Akten herangezogen. Vor allem die Akten des Bundeskanzleramtes (mit Ausnahme der Dokumente von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst) und der Hauptverwaltung A (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit – einschließlich der „Rosenholz‑Kartei“ – erlauben Michels, gut belegte Rückschlüsse zu ziehen: über die Einschleusung des Ehepaares Guillaume in den Westen, ihren Aufstieg in der SPD, das Ausmaß der Spionage durch Günter Guillaume und die (Un)Ergiebigkeit der DDR‑Spionage in der Bundesrepublik, außerdem über die Kanzlerschaft Brandts, die Reaktionen in beiden Teilstaaten auf die Enttarnung sowie die Konsequenzen (u. a. Benennung eines Geheimdienstkoordinators). Entstanden ist so ein aufschlussreiches Stück gesamtdeutscher Geschichtsschreibung. Deutlich wird, dass Guillaume der DDR erschütternd wenig zu berichten hatte – zum einen, weil er bis auf wenige Briefe, die er im Urlaub für Brandt transportierte, keinen Zugang zu geheimen Dokumenten hatte und für den Bundeskanzler kein Gesprächspartner war; zum anderen, weil er sich auch mit seinem Leben im Westen identifizierte und Brandt nicht schaden wollte. Der „unnötige Rücktritt“ (357) Brandts wurde damit von einem Ost‑West‑Deutschen ausgelöst, der sich mit seinem „zutiefst konservativen und autoritär geprägten Charakter“ (76) in jedes politisches System hatte einpassen können. Brandt hatte ihm – trotz Warnungen – wohl deshalb den Spion schlicht nicht zugetraut.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3 | 2.313 | 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Eckard Michels: Guillaume, der Spion. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35831-guillaume-der-spion_43600, veröffentlicht am 19.06.2013. Buch-Nr.: 43600 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken