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Robert Menasse

Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss

Wien: Paul Zsolnay Verlag 2012; 111 S.; 12,50 €; ISBN 978-3-552-05616-9
Der Schriftsteller und Essayist Robert Menasse, der unter anderem auch Politikwissenschaft studierte, hat sich zumindest vom Titel her ein großes Vorbild gewählt – den „Hessischen Landboten“, das Pamphlet, in dem Georg Büchner 1834 soziale Missstände anprangerte und zur Revolution aufrief. Auch Menasse hat Revolutionäres im Sinn, er fordert nichts weniger als das Absterben demokratischer Strukturen nationalstaatlicher Provenienz in Europa. Nur so könne sich die Europäische Union demokratisieren und im Interesse ihrer Bürger gestaltet werden. Menasse geht dabei grundsätzlich davon aus, dass sich diese Interessen von Land zu Land nicht sonderlich unterscheiden. Dass sich die EU bisher nicht als wirklich demokratisches Gebilde konstituieren konnte, schreibt er der nach seiner Ansicht kontraproduktiven Rolle des Rates zu – dieses Gremium der nationalstaatlichen Regierungen sorge dafür, dass in der EU vor allem darüber gefeilscht werde, was einzelne Staaten für sich als zuträgliche Politik betrachteten. Dieses Gezerre aber führe beim Bürger nur zur EU-Verdrossenheit. Menasse betreibt allerdings nicht nur Politiker- und Institutionenschelte. Auch den Wut-, Mut- oder sonstigen Präfixbürger fragt er, wie es sein könne, dass dieser auf lokaler Ebene gegen genau die politischen Repräsentanten demonstriere, die er bei der nächsten Wahl auf nationaler Ebene wieder wähle. Gefordert sei eine Besinnung darauf, was den Bürger ausmache. Dieses Buch ist vor allem ausgefüllt durch Menasses leidenschaftliches Plädoyer für ein demokratisches Europa, in dem eigentlich sowieso nicht richtig fassbare nationale Interessen ohne Belang sind. Die Argumentation ist plausibel (wenngleich sich über zahlreiche Aspekte diskutieren ließe), das Buch enttäuscht aber in einer Hinsicht doch: Menasse war, um sich selbst einen Eindruck davon zu verschaffen, wie Europa arbeitet, vorübergehend nach Brüssel gezogen. Zwar lobt er die übernationale und überparteiliche Arbeit in der Kommission (mit Ausnahme des für die Kultur zuständigen Kommissariats, das einer terra incognita zu gleichen scheint). Die Schilderung seiner Eindrücke hätte aber gerne ausführlicher ausfallen dürfen, um zu zeigen, dass die Interessen der Bürger in Brüssel (und Straßburg) besser als in den jeweiligen Hauptstädten vertreten werden. Ein bisschen mehr konkrete Überzeugungsarbeit hätte dem Buch gut getan.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 3.1 | 3.4 | 3.7 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Robert Menasse: Der Europäische Landbote. Wien: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35535-der-europaeische-landbote_42865, veröffentlicht am 29.11.2012. Buch-Nr.: 42865 Rezension drucken