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Dana Giesecke / Harald Welzer

Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur

Hamburg: edition Körber-Stiftung 2012 (edition Körber-Stiftung); 187 S.; brosch., 15,- €; ISBN 978-3-89684-089-9
Unser heutiges Erinnern an die nationalsozialistischen Verbrechen zentriert sich nach Ansicht von Giesecke und Welzer überwiegend auf Gedenkstunden und -veranstaltungen, fixe Orte und Daten, Diskussionsveranstaltungen mit Überlebenden sowie Dokumentationen über das Hitlerregime und seine Taten. Genau diese Geschichtsbewältigung sei mittlerweile „abgestanden und muffig geworden“ (9). Statt eines ständigen Wiederholens von Appellen des Nicht-Vergessen-Dürfens, das einer Historisierung des Nationalsozialismus und Holocausts gleichkomme, bedarf es nach Ansicht beider Autoren eines geänderten Verständnisses von Erinnerungskultur. Klar sei, „dass Geschichte ein Prozess ist, wenn sie geschieht, und dass Menschen als Akteure in diesem Prozess nicht das Wissen späterer Generationen über ihn haben“ (9). Folglich plädieren Giesecke und Welzer dafür, Geschichte von ihrem Anfang her zu erzählen und eine neue, der Zeit angemessene Erinnerungskultur zu etablieren, die den Blick nicht nur ausschließlich auf die Vergangenheit richtet, sondern sich darüber bewusst werden muss, dass Erinnerung immer nur in Bezug auf eine jeweilige Gegenwart existiert. Mehr noch: „Historische Erfahrung und historisches Wissen haben Gebrauchswert nur, wenn sie sich auf eine Zukunft beziehen können, die jemand in einer jeweiligen Gegenwart erreichen möchte“ (15). Der Forderung nach einer neuen Erinnerungskultur nähern sie sich aus zwei verschiedenen, aber ineinandergreifenden Perspektiven: Erstens fragt Welzer danach, wie man bei der Lösung von Aufgaben die Erfahrungen aus der Geschichte einbeziehen kann (sozialpsychologische Sicht). Hier komme es vor allem darauf an, bei der Vermittlung des historischen Wissens nicht vorgefertigte und erwartete Bewertungsmuster weiterzugeben und dabei „‚gegen das Vergessen’ ankämpfen“ (23) zu müssen. Vielmehr seien aktive Aneignungsprozesse und die Entwicklung eigenständiger Deutungen und Bewertungen nachhaltiger und angemessener, um Geschichte erfahrbar und für die Zukunft fruchtbar zu machen. Zweitens stellt Giesecke ihre Überlegungen eines neuen Typs von historischem Lernort vor, die sich jenseits der Konzeption einer „traditionellen“ Gedenkstätte bewegen (kultursoziologische Sicht). Gerade das Klimahaus in Bremerhaven – in dem dem Besucher thematisch bezogene Erlebnisse geboten werden, die er sofort in konkrete Gebrauchszusammenhänge überführen kann – sieht Giesecke als positives Beispiel eben jener Konzeption einer lebendigen Erinnerungskultur an, die sie sich auch für den Nationalsozialismus wünscht: Im „Haus der menschlichen Möglichkeiten“ sollte es „um die Voraussetzungen und Bedingungen menschlichen Handelns, um das Wahrnehmen, Ausmessen und Nutzen von Handlungsspielräumen und um die sozialen Mechanismen und Bedingungen [gehen], die zu Irrtümern, Fehlentwicklungen und Katastrophen führen“ (118).
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Dana Giesecke / Harald Welzer: Das Menschenmögliche. Hamburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35101-das-menschenmoegliche_42247, veröffentlicht am 05.07.2012. Buch-Nr.: 42247 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken