Durch das umfangreiche Programm der nationalkonservativen Regierung Orbán (u. a. neue Verfassung, Mediengesetz, Notenbankgesetz) ist Ungarn seit 2010 Gegenstand eines breiteren Interesses geworden. Angesichts der häufig an der Oberfläche bleibenden Berichterstattung ist es wohltuend, dieses Buch eines Experten des ungarischen politischen Systems in die Hand zu nehmen; zumal es bis zum Erscheinen keine Monografie zum ungarischen Regierungssystem in deutscher Sprache gab. Diesem widmet sich Dieringer in acht Kapiteln in kritisch-analytischer Weise. Die Gliederung orientiert sich im Wesentlichen am formellen Staatsaufbau, doch nimmt der Autor diese Ebene nur als Ausgangspunkt, um die materielle Struktur des politischen Prozesses zu thematisieren. Durch die vorangestellten Kapitel zum Übergang vom Kádár-Regime zur Demokratie sowie zur politischen Entwicklung von 1989 bis 2009 wird das Buch gleichzeitig auch zum (zeit)geschichtlich-wissenschaftlichen Werk. Stets berücksichtigt Dieringer die Einbettung der nationalen Politik in europäische Kontexte. Inwiefern der dramatische Umbruch des Parteiensystems seit der Wahl 2010 und die 2012 in Kraft getretene neue Verfassung einzelne Teile des Buches obsolet werden lassen, wird sich erst mit einiger zeitlicher Distanz sagen lassen. Die neueste Entwicklung in Ungarn ist in der Tat nicht ohne eine profunde Kenntnis des bis 2011 bestehenden Verfassungssystems zu verstehen. Trotz der Rhetorik der Orbán-Regierung, eine zweite Wende anzustreben, spricht vieles dafür, dass sich die politischen Strukturen eher evolutionär (und nicht revolutionär) weiterentwickeln werden. Dieringers Buch bleibt also für die absehbare Zukunft das deutschsprachige Standardwerk auf seinem Feld.