Skip to main content
Gerhard Klas

Die Mikrofinanz-Industrie. Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut

Berlin: Assoziation A 2011; 320 S.; 16,- €; ISBN 978-3-86241-401-7
„In der Welt des unendlichen Wirtschaftswachstums muss auch die Armut profitabel sein.“ (282) So sind die Mikrokredite, die als Allheilmittel für den wirtschaftlichen Aufstieg der ärmsten Menschen gepriesen werden, nach Darstellung von Gerhard Klas längst Bestandteil des internationalen Finanzgeschäfts geworden – mit einer auffälligen Besonderheit: Nach Recherchen des Journalisten liegt der tatsächliche Zinssatz oftmals doppelt so hoch wie bei einem regulären Bankkredit. Rechne man alle Kosten ein, könne sich ein Satz von bis zu 38 Prozent ergeben. Die Hälfte dieser Mikrokredite wird in Südasien vergeben, Kreditnehmer sind meist Frauen, denen – so die Idee – ein Start in die wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglicht worden soll, abgesichert durch die Einbindung in eine Gruppe, die als Bürge auftritt. Für diese Idee erhielt Muhammad Yunus 2006 den Friedensnobelpreis, mittlerweile hat ihn aber die Regierung in Bangladesch seines Amtes als Bankdirektor der Grameen Bank mit der Begründung enthoben, „er sei ein Blutsauger der Armen“ (15). Der Autor, der umfassend zu den Mikrokrediten recherchiert und in Bangladesch zahlreiche Gespräche geführt hat, sieht das Land als ein „Experimentierfeld für die globale Finanzwirtschaft“ (104) benutzt, Yunus selbst vertrete eine „ökonomisch neokonservative Haltung, die stark aus den USA beeinflusst ist“ (131). Die Konsequenz: Kleinstkreditnehmer, die zum Beispiel nach einer (in Bangladesch nicht selten vorkommenden) Naturkatastrophe ihr Hab und Gut verlieren, werden trotzdem zur Rückzahlung der Raten gezwungen; in Indien pfänden die Geldgeber das Land der in Zahlungsnot geratenen Bäuerinnen und Bauern. Klas kritisiert außerdem, dass die Haftung der Gruppe das soziale Gefüge eines Dorfes zerstöre. Überhaupt finde kein Empowerment statt, gerade die Frauen würden durch die Schulden in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gehemmt. Ihnen wäre durch staatliche Leistungen in Bildung und Gesundheitsvorsorge sowie mit Agrarzuschüssen wesentlich mehr geholfen. Entsprechend sehen auch die Alternativen aus, die Klas in diesem außerordentlich informativen Buch vorstellt; dazu zählen die zinslose Kreditvergabe in Bolivien an Familien, die ihre Kinder zur Schule schicken, sowie ein Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen in Namibia. Der ganze Ansatz der Mikrofinanz aber, so Klas abschließend, unterliege dem Denkfehler, dass der Armut mit marktwirtschaftlichen Mitteln begegnet werden könnte. „Mit Mikrofinanz die Armut zu bekämpfen ist wie mit Waffenexporten Krieg zu verhindern.“ (315)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.44 | 4.45 | 2.262 | 2.22 | 2.68 | 2.67 | 2.63 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Gerhard Klas: Die Mikrofinanz-Industrie. Berlin: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34060-die-mikrofinanz-industrie_40829, veröffentlicht am 16.02.2012. Buch-Nr.: 40829 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken