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Anja Nordmann

Alltäglicher Feminismus. Geschlecht als soziale Erfahrung und reflexive Kategorie

Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag 2011; 296 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-89741-313-9
Diss. FU Berlin; Gutachter: R. Münchmeier, R. Bohnsack. – Viel ist in den vergangenen Jahren vom neuen Feminismus die Rede – und doch scheint unklar zu sein, inwieweit derart betitelte Entwicklungen tatsächlich einen feministischen Gehalt aufweisen und, wenn dem so ist, was neu an dieser Form von Feminismus ist. Und wo liegen umgekehrt die Anknüpfungspunkte zu einem alten Feminismus? Vor diesem Hintergrund fragt Nordmann, welche Bedeutung der Feminismus für junge Frauen heutzutage hat, ob diese Bedeutung auf einem theoretischen Wissen über die Ziele der feministischen Bewegungen beruht und wie sich Feminismus in der alltäglichen Lebensführung ausdrückt. Die Datenbasis für die Untersuchung beruht auf umfassenden Interviews und Gruppendiskussionen mit jungen Frauen in der Lebensphase zwischen Ausbildung und Berufseinstieg – also einer Phase, die geprägt ist von der Notwendigkeit, langfristige Lebensentscheidungen zu treffen und sich selbst zu positionieren. Die Autorin zeigt, dass Feminismus – oder allgemeiner: die Kategorie Geschlecht – eine zentrale Rolle im Alltagsleben junger Frauen spielt. Sie vertritt die These, dass sich Ziele und Erkenntnisse der feministischen Forschung normalisiert und als Deutungskategorien und Hilfen zur Selbstpositionierung in den Alltag eingefügt haben. Diese Veralltäglichung von Feminismus knüpfe allerdings an dem grundlegenden Problem an, dass der Feminismus letztlich eine politische Kategorie sei und Kritik an politökonomischen Strukturen betreibe, als praktische Hilfestellung für den Alltag jedoch nur begrenzt von Nutzen sei. Dementsprechend hätten junge Frauen den Feminismus auch entpolitisiert – eine tiefer gehende Reflexion der strukturellen Ursachen von Geschlechterungleichheiten finde nicht statt. Dies würde nämlich den praktischen Gehalt der feministischen Kategorien reduzieren und zugleich die eigene Ohnmacht im gesellschaftlichen Gefüge verdeutlichen. In diesem Sinne füge sich der alltägliche Feminismus in Theorien der Individualisierung von Lebensstilen ein: der gesellschaftliche Gehalt von Feminismus werde ausgeblendet und es komme zu einer Privatisierung von Kontrollmechanismen. Der klassische Feminismus sei somit insgesamt in der Gesellschaft angekommen und zu einem unhinterfragten Teil dieser geworden, damit allerdings zugleich eines guten Teils seines Kritikpotenzials beraubt worden. Dies ist eine Erkenntnis, welche die zukünftige Feminismusforschung berücksichtigen und weiterentwickeln sollte.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.36 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Anja Nordmann: Alltäglicher Feminismus. Königstein/Ts.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33828-alltaeglicher-feminismus_40533, veröffentlicht am 23.06.2011. Buch-Nr.: 40533 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken