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Gerhard Willke

Armut – was ist das? Eine Grundsatzanalyse

Hamburg: Murmann 2011; 258 S.; 16,- €; ISBN 978-3-86774-126-2
Die jüngste Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes zum „Leben in Europa 2011“ hat mit der Behauptung, dass laut EU-Sozialindikator fast 20 Prozent der Deutschen arm oder sozial ausgegrenzt sind, eine Debatte darüber ausgelöst, wie verbreitet Armut in Deutschland tatsächlich ist und wie realistisch die sozialwissenschaftlichen Erhebungen dazu sind. Gerhard Willke, Professor für Wirtschaftspolitik, stellt in seinem Buch verschiedene Messungen und Erklärungen des Phänomens Armut vor. Die leitende Fragestellung ist dabei ausgesprochen praktischer Natur: Wer ist wirklich arm und welche Wege können im Sozialstaat aus der Armut führen? Zunächst stellt Willke verschiedene Definitionen und Konzepte der Armut vor. Der Hauptteil der Argumentation ist der Empirie der Armut und der Armutspolitik im Sozialstaat gewidmet. Willkes Hauptthese ist hier, dass Umverteilung bestenfalls niemandem nütze – außer der Umverteilungsbürokratie. Es komme vielmehr auf eine aktivierende Sozialpolitik und vor allem auf gute Bildungspolitik an. Ein recht kurzes Kapitel ist armutstheoretischen Erklärungsansätzen gewidmet. Den eigenen Anspruch, eine nüchterne Analyse und sachliche Bewertung des Problems zu liefern, löst das Buch nur bedingt ein. Willke zitiert – neben einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien – in großem Umfang aus Kommentaren der Tagespresse und kann oder will sich der Polemik gegen „Gutmenschen“ (185) und „Moralisten“ (243), gegen „Deprivations- und Wohlfahrtsgewerbe“ (13 f.) nicht enthalten. Das ist schade, weil es die sehr informativen Stellen des empirischen Teils schwächt und die teils berechtigte Kritik an sozialstaatlichen Fehlentwicklungen als unsachlich erscheinen lässt. Auch ist zu vermissen, dass der Autor einer gelungenen Einführung in das Denken von John Maynard Keynes (Buch-Nr. 42216) nichts über makroökonomische Konzepte der Armutsbekämpfung schreibt. Das Wort „Unterauslastung“ (241) taucht lediglich einmal am Rande auf. Die Risiken der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns werden breit erörtert, der mögliche Nutzen eines Nachfrageeffekts und der Entlastung der Sozialsysteme wird unterschlagen. Zu einer ausgewogenen Analyse gehörte doch die sachliche Würdigung aller Standpunkte.
Sebastian Lasch (LA)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.342 | 2.331 | 2.3 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Lasch, Rezension zu: Gerhard Willke: Armut – was ist das? Hamburg: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33762-armut--was-ist-das_40443, veröffentlicht am 22.11.2012. Buch-Nr.: 40443 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken