Gefühle machen Geschichte. Die Wirkung kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama
Das Buch hat die politisch zweifelsohne entscheidende Frage nach der Wirkung kollektiver Emotionen zum Thema. Ausgehend von einem neurowissenschaftlichen Affektbegriff sollen über Analogiebildungen komplexe soziale Phänomene verständlich erklärt werden. Das zugrunde liegende Erklärungsmodell ist dreiteilig: Das vom Erstautor Ciompi bereits vor Jahren entwickelte Modell der „Affektlogik“, das auf die funktionale Verschränkung von emotionalen und kognitiven Prozessen abhebt, wird mittels der sogenannten „Fraktalhypothese“ (32), wonach die affektiv-kognitiven Wechselwirkungen sich sowohl auf mikro- wie auf makrosozialer Ebene ereignen, auf soziale Phänomene aller Größenordnungen angewandt. Diese Strukturtheorie wird systemtheoretisch gedeutet, wobei die Systeme nicht als hyperstabil beschrieben werden, sondern durch emotionale „Schmetterlingseffekte“ (31) dynamisch beeinflussbar sind. Mittels dieses Instrumentariums erklären die Autoren die politische Weltgeschichte von „Hitler bis Obama“, wobei anekdotische Details aus der Kindheit Hitlers und Obamas im Verein mit feuilletonistischen Skizzen des Zeitgeistes über „affektlogische“ Hypothesen mit aktuellen politischen Ereignissen kurzgeschlossen werden. Das „Rätsel“ um Entstehung und Aufschwung des Nationalsozialismus in der Kulturnation Deutschland wird dem Anspruch der Autoren nach ebenso einer „affektlogischen“ (95 ff.) Lösung zugeführt wie die historisch angeblich unwahrscheinliche Wahl Obamas. Beide Ereignisse werden als „massenpsychologische Explosionen“ beschrieben, die im Falle Hitlers aus einem „Moment der maximalen kollektiven Verunsicherung“ (95), im Falle Obamas aus der „Stimmung der Hilf- und Machtlosigkeit“, die durch die „selbstgemachte Klimaerwärmung“ bzw. die „durch den amerikanischen Extremkapitalismus verursachte Weltwirtschaftskrise“ (191 f.) ermöglicht wurden. Während Hitler jedoch negative Gefühle wie Hass und Verachtung geschürt habe, sei Obama von Gefühlen geleitet, „die wesentlich prosozialer Natur“ (190) sind. Leider ist jedoch das politische Schicksal Obamas und damit der Ausgang dieses auf prosoziale Emotionen bauenden „weltweiten emotionssoziologischen Experiments“ offen, denn „ein einziges emotional hinreichend wirksames Negativereignis […] könnte genügen, um Obama zu Fall zu bringen“ (193). – Wenn Emotionen alles erklären sollen, dann erklären sie am Ende gar nichts.