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Gabor Steingart

Das Ende der Normalität. Nachruf auf unser Leben, wie es bisher war

München/Zürich: Piper 2011; 176 S.; 16,95 €; ISBN 978-3-492-05459-1
Kann ein Buch abstoßend sein? Es kann, und wie. Wenn Steingart in seiner psychologisch schon bedenklich anmutenden Sehnsucht nach Normalität etwa den Wegfall des Gehorsamsparagraphen aus dem BGB beklagt und knapp eine Seite später – Hermann Göring zitierend – Frauen als „Zuchtstuten und Arbeitspferde“ (34) bezeichnet, gleichsam aber den Leser bewusst im Unklaren lässt, ob dieser Normalitätsverfall – die emanzipierte Frau von heute ist offensichtlich nicht mehr Zuchtstute und Arbeitstier genug – nun begrüßenswert ist oder aber den Untergang des Abendlandes mit eingeläutet hat, dann ist die Grenze zum Populismus eindeutig überschritten. Steingarts Büchlein, für das sich erstaunlicherweise ein Verleger gefunden hat, operiert mit einer Ansammlung von Allgemeinplätzen – was, bitteschön ist Normalität, was ist jemals Normalität gewesen? – ,Vorurteilen und Versatzstücken von höchstens anekdotischer Evidenz, die er gezielt in einer Sphäre des Ungefähren belässt. „Wo nichts mehr selbstverständlich ist, endet Selbstverständlichkeit“ (17) lautet so eine bahnbrechende Einsicht, zu der man Steingart nur gratulieren kann. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich um eine Tautologie. Neben derart harmlosen Aussagen jedoch finden sich auch solche, die populistisch und damit gefährlich sind, so etwa: „Der spontane Rausschmiss eines Arbeiters, der Verstoß des schwarzen Schafes aus dem Familienverband, die Exkommunikation des Andersdenkenden sind heute verboten oder auf andere Art und Weise wirkungslos gemacht.“ (14) Oder auch: „Wenn alle führen wollen, wer folgt dann noch?“ (26) Heißt das dann, dass wir wieder mehr Führung brauchen, einen Führer gar? Heißt das, dass die willkürliche Ausgrenzung des Andersdenkenden eigentlich keine so schlechte Sache war, dass wir wieder mehr Segregation und Abgrenzung in der Gesellschaft brauchen? Und hat Herr Steingart schon mal was von Leiharbeit und der Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen gehört? Mit Barney Frank möchte man ihn fragen: „On what planet do you spent most of your time?“ Es steht zu befürchten, dass Steingart die Frage in seinem eigenen Universum nicht nur nicht hören, sondern auch nicht verstehen würde. Und was bleibt aus politikwissenschaftlicher Sicht? Ein Blick in die Abgründe eines rechtspopulistischen Konservatismus, der offensichtlich immer noch ein Publikum hat, das hinreichend verunsichert ist und derlei Geschreibe noch liest.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.2 | 2.23 | 2.3 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Gabor Steingart: Das Ende der Normalität. München/Zürich: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33624-das-ende-der-normalitaet_40262, veröffentlicht am 13.04.2011. Buch-Nr.: 40262 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken