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Mario Tal (Hrsg.)

Umgangssprachlich: Krieg. Testfall Afghanistan und deutsche Politik

Köln: PapyRossa Verlag 2010 (Neue Kleine Bibliothek 153); 275 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-89438-441-8
Im März 2010 räumte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in einem Deutschlandfunk-Interview ein, dass der Afghanistaneinsatz umgangssprachlich als Krieg bezeichnet werden könne. Ausgehend von diesem Statement beschreiben die Autoren die politischen und militärischen Realitäten des Einsatzes sowie die Situation der Menschen in Afghanistan. Martin Baraki stellt beispielsweise die Situation der Frauen in Afghanistan dar. Dabei blickt er auf die Reformbemühungen afghanischer Herrscher wie König Amanullah und Saher Shah zurück, die Mädchenschulen eröffneten, Frauen zur Weiterbildung ins Ausland schickten und das Frauenwahlrecht einführten. Der Autor kontrastiert diese Zeit der vorsichtigen Öffnung mit den Repressalien und Rückschritten unter den Taliban. Auch für die Gegenwart zeichnet Baraki ein düsteres Bild. Er verweist auf die steigende Zahl von Ehrenmorden, die Zunahme häuslicher Gewalt und die nach wie vor gängige Praxis, junge Mädchen gegen ihren Willen zu verheiraten. Als Folge dieser Missstände seien Selbstmordversuche von Frauen an der Tagesordnung. Die Situation der Frauen habe sich im Vergleich zur Zeit der Taliban sogar noch verschlechtert. Im Jahr 2005 habe es allein in der Region Herat 154 Selbstverbrennungen gegeben. Da Selbstverbrennung als eine Schande für die Familie gelte, werde den Opfern nicht geholfen. Michael Haid erörtert dagegen die Neudefinition der Sicherheitsinteressen Deutschlands, die ihren Ausdruck unter anderem in dem Engagement in Afghanistan finden. Entsprechend würden die Verbände der Mitgliedstaaten im Rahmen der NATO-Strategie immer stärker auf ihre Interventionsfähigkeit ausgerichtet. Auch die Bundeswehr habe bei einem wachsenden Anteil von Krisenreaktionskräften ihre absolute Truppenstärke inzwischen halbiert. Haid erinnert daran, dass die Bundesregierung unter Gerhard Schröder ein Mitinitiator der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewesen sei. Einen wesentlichen Grund für die deutsche Teilnahme an Operationen von EU und NATO erklärt Haid weniger etwa mit dem Konfliktfall Afghanistan selbst als mit dem Bestreben Deutschlands, in den Entscheidungsgremien beider Organisationen zur Wahrung der ökonomischen Interessen des Landes ein möglichst großes Mitspracherecht zu erreichen.
Marinke Gindullis (MG)
Politikwissenschaftlerin.
Rubrizierung: 4.21 | 4.41 | 2.63 | 2.324 Empfohlene Zitierweise: Marinke Gindullis, Rezension zu: Mario Tal (Hrsg.): Umgangssprachlich: Krieg. Köln: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32818-umgangssprachlich-krieg_39195, veröffentlicht am 18.08.2011. Buch-Nr.: 39195 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken