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Reinhold Vetter

Polens eigensinniger Held. Wie Lech Wałęsa die Kommunisten überlistete

Berlin: BWV Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH 2010; 414 S.; 37,- €; ISBN 978-3-8305-1767-2
Der Journalist Vetter porträtiert Wałęsa als aufrechten, charismatischen, aber auch schwierigen Arbeiterführer und illustriert an dessen Biografie zugleich 40 Jahre polnischer Zeitgeschichte. Er deutet die Streiks in den polnischen Hafenstädten 1970 als Erweckungserlebnis des Elektrikers, der sich in spontan gebildeten Streikkomitees für die Forderungen der Arbeiter einsetzte, die aber mangels Organisationserfahrung der Staatsführung unterlagen. Letztere sowie die Wirtschaftsprobleme des Landes hätten ihn von der Notwendigkeit einer zielgerichtet operierenden Arbeiterfront überzeugt. Als „Lokomotive“ (75) des Streiks sei Wałęsa 1980 entscheidend am Erfolg der Danziger Werftarbeiter beteiligt gewesen, die – unterstützt von Intellektuellen und der katholischen Kirche – der Staatsmacht die Gründung der Solidarność abtrotzten. In der turbulenten Folgezeit bis zur Verhängung des Kriegsrechts Ende 1981 sei er als wichtigster Ansprechpartner aller Seiten zum „Feuerwehrmann der Nation“ (120) avanciert und habe, die politische Realität erkennend, beständig für eine Selbstbeschränkung der Revolution geworben. Die (komfortable) Isolationshaft 1982 habe er ungebrochen überstanden, danach seine Popularität genutzt, um sich für ein allmähliches Auftauchen der dezimierten Solidarność aus der Illegalität zu engagieren. Bis zu den Verhandlungen am Runden Tisch 1989 habe Wałęsa als wichtigstes Hoffnungssymbol in Polen gegolten. Instinktsicher habe er früh die gesellschaftliche Desillusionierung angesichts hoher Transformationskosten gespürt und – ungeachtet seiner ansonsten ambivalenten Leistungsbilanz – als Staatspräsident 1990 bis 1995 ein „letztes großes Opfer“ (379) gebracht, indem er außen- und wirtschaftspolitisch Kurs gehalten habe. Vetters Sympathien gelten dem Helden Wałęsa – trotz dessen charakterlicher Schwächen und Unklarheiten über eine Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst. Den ungestörten Lesefluss des flüssig formulierten Buches stören allerdings die zu häufigen und mitunter unnötigen wörtlichen Übernahmen aus Wałęsas Ego-Schriften sowie der polnischen Fachliteratur.
Andrea Priebe (AP)
M. A., Politikwissenschaftlerin, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.61 | 2.1 Empfohlene Zitierweise: Andrea Priebe, Rezension zu: Reinhold Vetter: Polens eigensinniger Held. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32543-polens-eigensinniger-held_38841, veröffentlicht am 24.08.2010. Buch-Nr.: 38841 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken