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Joseph Stiglitz

Im freien Fall. Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft. Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt

München: Siedler Verlag 2010; 448 S.; 24,95 €; ISBN 978-3-88680-942-4
„Unter dem Eindruck einer Nahtoderfahrung sieht man sich angeblich genötigt, seine Prioritäten und Wertvorstellungen zu überdenken. Die Weltwirtschaft hatte gerade eine solche Nahtoderfahrung“ (345), schreibt Stiglitz, der 2001 den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt, Wirtschaftberater der Clinton-Regierung und Chefvolkswirt der Weltbank war und heute an der Columbia University in New York lehrt. Die Notwendigkeit, grundsätzliche Maximen der Wirtschaftspolitik zu überdenken, schreibt er vor allem der US-Regierung ins Stammbuch, wobei diese Aufforderung nicht nur auf seinen langjährigen Analysen aufbaut. Stiglitz setzt sich in diesem Buch vor allem gründlich mit den Entstehungsbedingungen der Weltwirtschaftskrise auseinander, deren Beginn meist mit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers Inc. im September 2008 datiert wird. Stiglitz erläutert, dass diese Insolvenz schlaglichtartig erkennen ließ, mit welch unlauteren Methoden die Banken seit Jahren Geld verdienten – statt ihrer Aufgabe nachzukommen, über eine sinnvolle Kreditvergabe die Wirtschaft solide zu stützen. Das Geschäft mit den US-Eigenheimbesitzern, deren Hypotheken – also ihre Schulden – zu einer Art neuer Wertpapiere zusammengeschnürt und dann gestückelt rund um den Globus verkauft wurden, wird allgemein verständlich erklärt. Verbunden ist dies mit der Feststellung, dass die US-Amerikaner damit seit Langem kreditfinanziert über ihre Verhältnisse leben. Stiglitz verknüpft diese Darstellung mit einer scharfen Kritik an der Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan bis George W. Bush, die in blinder Ideologie glaubten, den Staat aus der Wirtschaft heraushalten zu müssen – die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise der 20er-Jahre dabei ebenso vergessend wie die politischen Erfolge durch den New Deal. Es wird deutlich, dass die ideologisch motivierte Aufhebung der Kontrolle über den Bankensektor, die zudem vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung stattfand, die gegenwärtige Krise überhaupt erst ermöglicht hat. Stiglitz lastet der Politik zudem an, bisher in diesem wirtschaftspolitischen Denken verhaftet geblieben zu sein und die Frage der Gerechtigkeit nicht zu stellen: Es sei völlig unverständlich, warum nicht dem Bürger und Steuerzahler (also dem Hausbesitzer, der durch die Banken in Not geraten ist), wohl aber den Banken – ohne Gegenleistung – geholfen werde. Wenn eine Bank wie von der Politik behauptet zu groß sei, um sie Bankrott gehen zu lassen, gehöre sie zerschlagen, so die eindeutige Aussage. Grundsätzlich gelte: „Eine Sanierung – ein Neuanfang – ist nicht das Ende der Welt“ (162).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.43 | 2.2 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Joseph Stiglitz: Im freien Fall. München: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32184-im-freien-fall_38391, veröffentlicht am 15.09.2011. Buch-Nr.: 38391 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken