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Pierre Rosanvallon

Demokratische Legitimierung. Unparteilichkeit – Reflexivität – Nähe. Aus dem Französischen von Thomas Laugstien

Hamburg: Hamburger Edition 2010; 304 S.; geb., 32,- €; ISBN 978-3-86854-215-8
Dem klassischen Bild der Demokratie liegt nach wie vor das Ideal einer wie auch immer zu beschreibenden Identifikation von Regierenden und Regierten zugrunde. Allerdings enthielt – wie Rosanvallon, Professor für politische Geschichte am Collège de France, betont – die historisch erfolge Etablierung von Repräsentations- und Mehrheitsprinzip eine begriffliche Unklarheit, insofern sich hier die normative Ebene der Rechtfertigung von Demokratie mit einer Methode der Entscheidungsfindung vermischt. Diese Konstellation erzeugte jenen Typus doppelter Legitimität, der spätestens seit den 80er-Jahren erheblich an Glaubwürdigkeit verloren hat. Die Fiktion nämlich, dass die qua Mehrheitsvotum eingesetzte Regierung, gestützt auf einen sachrationalen Verwaltungsapparat, während ihrer Legislaturperiode dem Allgemeininteresse dient, widersprach nicht nur der realen Interessenpolitik; diese Fiktion ist unverträglich mit dem, was Rosanvallon die Dezentrierung der modernen Demokratien nennt. Vor dem Hintergrund struktureller Trends von Individualisierung und Globalisierung müssen heutige Gesellschaften als Vielfalt von Minderheitensituationen verstanden werden, die eine Gleichsetzung des Interesses der Mehrzahl mit dem der Mehrheit nicht mehr erlaubt. Soll das klassische Demokratieideal in seiner anspruchsvollsten Form reformuliert werden, brauchen wir eine neue Definition von Legitimität, die auf einer „Dekonstruktion und Redistribution der Vorstellung gesellschaftlicher Allgemeinheit“ (16) beruht. Der Autor entwirft in seiner ebenso dicht wie anregend geschriebenen Studie den theoretischen Rahmen für eine derartige Konzeption und arbeitet drei sich ergänzende Formen moderner Legitimitäten heraus: Die Legitimität der Unparteilichkeit betrifft die Rolle von Aufsichts- oder Regulierungsbehörden jenseits des Verwaltungsapparates. Die Legitimität der Reflexivität beruht auf den Kontrollfunktionen, die Verfassungsgerichte einnehmen. Die Legitimität der Nähe schließlich bezeichnet die Bereitschaft der Politik, auf die Spontaneität zivilgesellschaftlicher Aktivitäten einzugehen.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.2 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Pierre Rosanvallon: Demokratische Legitimierung. Hamburg: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32181-demokratische-legitimierung_38384, veröffentlicht am 19.07.2010. Buch-Nr.: 38384 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken