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Thomas Großbölting (Hrsg.)

Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-Legenden auf dem Prüfstand

Berlin: Ch. Links Verlag 2009; 333 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-86153-543-0
Diese Auseinandersetzung sowohl mit zentralen Politikbereichen, in denen sich das Leben der Menschen in der DDR gestaltete, als auch mit deren posthumer Wahrnehmung lässt sich durchaus als Überblicksdarstellung lesen. Großbölting stellt vor allem aber ein Thema zur Diskussion: In seiner Einleitung umreißt er die „wohl einzigartige Gemengelage von Wissenschaft und Erinnerungspolitik“, die die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte „hoch spannend“ (11) mache. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage schreibt beispielsweise Wolfgang Lamprecht exemplarisch über das Bildungssystem der DDR und seine angebliche Vorbildfunktion für die gelobte finnische Gesamtschule: Die Einheitsschule der DDR sei in einem historischen Kontext entstanden, in dem in vielen Ländern auf ähnliche Anforderungen ähnliche Antworten gefunden worden seien. Das Bildungssystem der DDR sei aber aufgrund seiner ideologischen Ausprägung und Auswahlkriterien für die Schüler, die das Abitur machen durften, nie ein Vorbild gewesen, in Finnland habe man schon in den 60er-Jahren andere Prioritäten gesetzt. Hervorzuheben ist auch der Beitrag von Anselma Gallimat und Sabine Kittel. Sie bestätigen mit den Auswertungen von Interviews Ostdeutscher zu ihren Erfahrungen und Erinnerungen einige Annahmen über die Schwierigkeiten, einen Konsens über die historische Einordnung der DDR zu erreichen. Großbölting hatte diese einleitend unter Verweis auf die Arbeiten von Mary Fulbrook benannt: Während die DDR vom Westen aus betrachtet 1989 als ein wirtschaftlich marodes Land und geprägt durch politische Unterdrückung dagestanden habe, sei die Erfahrung vieler ehemaliger DDR-Bürger ambivalent gewesen: Die „Mitarbeit am sozialistischen Projekt und die Unterstützung durch dieses standen neben politischer Gängelung und Zonen des Dissenses“ (15). Gallimat und Kittel schreiben, dass aus Sicht der Ostdeutschen diese Ambivalenz und das Alltägliche – und nicht allein die aus westlicher Sicht gewichtigen Diktaturaspekte – im Mittelpunkt der historischen Wahrnehmung stehen sollten.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Thomas Großbölting (Hrsg.): Friedensstaat, Leseland, Sportnation? Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31462-friedensstaat-leseland-sportnation_37453, veröffentlicht am 28.01.2010. Buch-Nr.: 37453 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken