Als ein „Papst für die Aufgeklärten“ (8) wurde der politische Philosoph Norberto Bobbio in seinem Heimatland Italien liebvoll-ironisch bezeichnet, wegen seiner energischen öffentlichen Wortmeldungen, mit denen er die politische Entwicklung Italiens bis zu seinem Tod 2004 begleitete. Die Sammlung vereint drei für sein spätes Werk „typische ethisch-politische Aufsätze“ (17) und ein kurzes Interview. Sie wird vom Herausgeber Otto Kallscheuer durch eine Einleitung ergänzt, in der er Bobbio als öffentlichen Intellektuellen und realistischen, dem Individualismus verpflichteten Aufklärer charakterisiert. Ausgehend von der Erfahrung, dass allgemeine Moral und politisches Handeln oft auseinanderfallen, wird im ersten Aufsatz eine „Landkarte der unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Lösungsversuche“ (26) skizziert, die die moderne politische Philosophie seit Machiavelli für das Problem des Verhältnisses von Ethik und Politik entwickelt hat. Der zweite Aufsatz geht auf eine Rede vor dem noch jungen spanischen Parlament 1983 zurück und wurde im Zuge der gegenwärtigen Debatte um Postdemokratie wieder aufgegriffen. Auf der Basis einer formalen, „minimalen Definition von Demokratie“ (62) geht Bobbio sechs nicht gehaltenen Versprechen der Demokratie nach, z. B. dem der individuellen staatsbürgerlichen Souveränität, die durch den Bedeutungsgewinn intermediärer Gruppen (Parteien, Lobbyverbände etc.) untergraben werde, oder dem der Transparenz von Macht. Allerdings seien diese Versprechen wegen unvorhersehbarer Entwicklungen durch die immer komplexer werdende Gesellschaft auch nicht einzuhalten. Daher könne man trotz dieser inneren Gefahren nicht von einer Transformation der (minimalen) Demokratie in eine Autokratie reden. In einem letzten Aufsatz wird Sanftmut, „die unpolitischste aller Tugenden“ (105), in der Phänomenologie der Tugenden verortet, wobei man en passant einen Einblick ins Politikverständnis Bobbios erhält.